Blog

Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus in Anhalt bilanzieren Gesamtjahr 2024

+++ Landkreis Anhalt-Bitterfeld führt Ranking rechtsextremer Gewalttaten an // erstmals vierstellige Zahl rechter Vorfälle in der Region Anhalt dokumentiert+++

Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt (OBS) registriert im Berichtzeitraum erneut 29 Angriffe. Der Schwerpunkt lag dabei mit 17 Angriffen klar im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Das Beratungsprojekt geht jedoch von einer höheren Dunkelziffer aus.

Die vom Mobilen Beratungsteam Projekt GegenPart in einer Chronik festgehaltenen rechtsextremen Vorfälle im Jahr 2024 haben sich erneut signifikant erhöht. Bereits seit 2022 verzeichnet das Beratungsprojekt Jahr um Jahr neue Höchststände in der Ereignischronik. Für 2024 wurden nun mit 1004 Vorfällen erstmals eine vierstellige Zahl an rechten Ereignissen dokumentiert. Dies entspricht nahezu einer Verdreifachung seit 2019, als 325 Vorfälle dokumentiert wurden.

Bilanz der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt Anhalt / Bitterfeld / Wittenberg

Im Jahr 2024 hat die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 29 politisch rechts motivierte Angriffe registriert (Stand:19.03.2025). Dies sind genauso viele wie im Jahr 2023.

Diagramm: OBS Jahr 2024

Wegen der hohen Dunkelziffer von politisch rechts motivierten Angriffen ist davon auszugehen, dass deren Ausmaß in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg in Wirklichkeit höher ist, so die Erkenntnisse von Dunkelfeldstudien und der Beratungsstelle bereinstimmend. Nicht selten wird der erlebte Angriff von den Betroffenen in eine lange Reihe negativer Erfahrungen eingeordnet oder die Betroffenen haben Angst vor Racheakten aus dem Kreis der Täter:innen. Auch Probleme mit der Sprache bei Migranten:innen und Erfahrungen mit Diskriminierungen können dazu beitragen, dass ein Vertrauen in die Institutionen der Rechtspflege nicht gegeben ist und die Angriffe nicht bekannt werden.

Von den 29 Angriffen entfielen auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld (LK ABI) 17 Angriffe. Neun Angriffe haben sich in der Bauhausstadt Dessau-Roßlau (DE-RSL) ereignet. Im Landkreis Wittenberg (LK WB) wurden drei Angriffe festgestellt.

Fazit: Der Schwerpunkt politisch rechts motivierter Angriffe in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg lag im Jahr 2024 mit 17 Angriffen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld.

 Jahr 2018Jahr 2019Jahr 2020Jahr 2021Jahr 2022Jahr 2023Jahr 2024
LK ABI93118111117
DE-RSL746117129
LK WB71144463

Tabelle: OBS Jahr 2024

Von den 29 Angriffen waren rund 52 % Körperverletzungsdelikte (16), die teilweise schwerwiegende körperliche und/oder psychische Folgen für die Betroffenen hatten. Ferner wurden 10 Nötigungen/Bedrohungen, zwei massive Sachbesch digungen sowie ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gegen politische Geegner:innen, in die Angriffsstatistik des Jahres 2024 aufgenommen.

Von den 29 Angriffen waren 18 (62 %) rassistisch motiviert. Sechs Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen. Bei vier Delikten war die sexuelle Identität Motivation des Angriffs. Ein Angriff richtete sich gegen Nichtrechte. FAZIT: Hauptopfergruppe in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg sind im Jahr 2024 von Rassismus Betroffene.

Von den 29 politisch rechts motivierten Angriffen waren mindestens 40 Personen direkt von der Gewalttat betroffen. In 26 Fällen wurden polizeiliche Ermittlungsverfahren geführt, weil sich die Betroffenen für eine Anzeige entschieden haben oder von Amts wegen ermittelt wurde.

Die 29 politisch rechts motivierten Angriffe, den jeweiligen Angriffsorten zugeordnet, ergeben folgendes Bild:

AngriffsortAnzahl der Angriffe
Wohnung/Wohnumfeld5
Öffentlicher Raum15
Demonstration, Umfeld4
Internet1
Öffentliches Verkehrsmittel2
Ausbildungsstätte1
Arbeit1

Tabelle: OBS Jahr 2024

FAZIT: ber 50 % der Angriffe ereigneten sich im ffentlichen Raum (15) und rund 17 % fanden im Bereich der Wohnung bzw. im Wohnumfeld (5) statt. Auf Demonstrationen, bzw. im Umfeld derselben, wurden rund 14 % der Angriffe (4) registriert.

Die Einordnung von Angriffen in unsere j hrlichen Angriffsstatistik als politisch rechts motiviert, erfolgt anhand gemeinsamer Qualit tskriterien des Verbands der Beratungsstellen f r Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG), die sich f r eine

Vergleichbarkeit auch an der Definition des Bundeskriminalamts zu „Politisch motivierter Kriminalit t – rechts“ orientieren.[1]


[1]    Mehr zu der Zählweise und Datenbasis des Monitorings der Mitgliedsorganisationen des VBRG e.V. hier: https://verband-brg.de/ueber-uns/#monitoring und hier: https://verband-brg.de/wpcontent/uploads/2025/05/Zaehlweise-und-Datenbasis-des-VBRG-Monitorings-Januar-2025.pdf 


Jahresbilanz 2024 von Projekt GegenPart

Beratungsbilanz

Beratungsprozesse nach geografischer Verortung

Das MBT Anhalt hat im Berichtszeitraum 2024 (Gesamtjahr) insgesamt 87 Beratungsfälle prozesshaft begleitet, was im Vergleich zum Vorjahr (70 Fälle) einer Steigerung von ca. 25 % entspricht.Wie bereits in den vergangenen Jahren, waren die meisten Beratungsprozesse (mit 38 Treffern, entspricht rund 43,7% am Gesamtaufkommen) in Dessau-Roßlau verortet, gefolgt von den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld (33 Fälle; rund 37,9% vom Gesamtaufkommen) und Wittenberg (16 Fälle; rund 18,4% aller Beratungsfälle).
Im Vergleich zum Vorjahr fällt bei der geographischen Parität insbesondere auf, dass die Fälle in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau und dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld halbwegs ausgeglichen sind, während der Landkreis Witteberg erneut deutlich unterrepräsentiert war (geografische Verortung 2023: Dessau-Roßlau 36 Fälle; LK Wittenberg 10 Fälle; LK Anhalt-Bitterfeld 24 Fälle). Die Fallzahl war demnach auch deutlich höher als in den beiden vorangegangenen Jahren (2022: 55; 2021: 59) und auf einem höheren Niveau als in der Jahren 2015 (66), 2016 (68), 2017 (60) und 2019 (55). Im Vergleich zu den Jahren 2010 – 2014 (chronologisch: 30; 34; 27; 25; 27 Fälle) kann somit mehr als eine Verdopplung der Beratungsfälle konstatiert werden.

Beratungsfälle um Laufe der Jahre

Schwerpunkte der Beratungsanlässe bildeten in den letzten 12 Monaten mit 18 Treffern (rund 20,7%) rechte Ereignisse im öffentlichen Raum, wie Demonstrationen, Kundgebungen und Konzerte, die Segmente rechte Unterwanderung der Bürgergesellschaft (17 Treffer rund 19,5%) und Angstzonen/ Bedrohungsszenarien (18,4 % mit 16 Treffern), sowie Beratungen in Vereinen/Verbänden/Bündnissen (15 Treffer gleich 17,3 %). Auf den Plätzen folgten Beratungen zu rechten Ereignisse in Bildungseinrichtungen (10 Treffer entspricht 11,5%) und Sachbeschädigung bzw. rechte Propaganda (6 Treffer entspricht 6,9%). Mit einigem Abstand komplettierten je zwei Fälle rechter Immobiliennutzung bzw. NS-Relativierung und ein Fall rechter Gewalt das Ranking.

Beratungsanlässe 2024

Die Auswertung der Beratungsprozesse zeigt, dass das MBT Anhalt im abgelaufenen Berichtszeitraum insgesamt 38 Bürger:innenbündnisse/ Initiativen pro Demokratie in ganz unterschiedlichen Settings beraten hat. Wie in den Vorjahren korreliert dies mit der Analyse, dass Organisationen die sich für Demokratie und gegen rechts engagieren, im Fokus von Neonazis stehen und sich immer häufiger rechten Unterwanderungs- und Bedrohungsversuchen ausgesetzt sehen. Dies gilt auch für Vereine und Verbände (20 Beratungsnehmende), Akteur:innen aus der Verwaltung (15 Beratungsnehmende) und Kommunalpolitik (13 Beratungsnehmende), die zusehends mit rechten Veranstaltungen im öffentlichen Raum konfrontiert werden.

Beratungsnehmende – Wer wurde beraten?

Rechte Ideologien und Strukturen spiegeln sich auch im Privatbereich wider, weshalb unter anderem 5 Einzelpersonen (2023: 6 Treffer ) beraten wurden. Mutmaßlich mit einer erhöhten gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung gegenüber Ideologien der Ungleichwertigkeit und menschenverachtenden Ereignissen geht einher, dass jeweils 12 Beratungsnehmende aus dem Medienbereich (2023: 11) und 2 Klient:innen aus dem Bereich Wissenschaft (2023: 5) beraten werden konnten. Die Liste wird komplettiert durch 18 Beratungsnehmende aus dem Segment Bildung/Freizeit, was im Vergleich zum Vorjahresberichtzeitraums einen enormen Aufwuchs bedeutet (2023: 4) und vor allem mit Prozessen in Jugendhilfe und Schule im Zusammenhang steht. Schlussendlich wurden je zwei Beratungsnehmende aus Kultur und Wirtschaft (2023: 2) und Religionsgemeinschaften (2023: 1 Fall) begleitet. In allen 87 Prozessen zusammengenommen hat das MBT Anhalt in Persona insgesamt 154, mithin ein absolutes Allzeithoch, Hauptberatungsnehmer:innen und Klient:innen unterstützt. Dies ist wie in der Vergangenheit vor allem damit zu erklären, dass in den zahlreichen Prozessen mehrere Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung gleichzeitig Hauptberatungsnehmer:innen sein können. Dem gemeinwesenorientierten und systemischen Ansatz der Mobilen Beratung folgend, konnte so rechten Ereignissen aus einem möglichst breiten Spektrum gesellschaftlicher Institutionen heraus gemeinsam begegnet werden.

Lagebild

Delikte / Ereignisse 2024

Die registrierten rechtsextremen Delikte, Angriffe und Ereignisse in der Region Anhalt sind in 2024 erneut sprunghaft angestiegen. In der Chronik konnten im Gesamtjahr 2024 insgesamt 1.004 rechte und neonazistische Ereignisse für Anhalt festgestellt werden, was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (2023: 646 Einträge) einem Zuwachs um ca. 35,7 % entspricht. Hierbei handelt es sich nicht nur um ein absolutes Allzeithoch, dass seit Bestehen der Chronik (1999) für ein Jahr registriert werden konnte, sondern die Gesamtzahl ist auch erstmals vierstellig. Von den 1.004 Meldungen konnten demnach ca. 46,3 % (465 Meldungen) dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld zugerechnet werden, gefolgt von der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau (288 Meldungen, entspricht ca. 28,7 %) und dem Landkreis Wittenberg (251 Meldungen, entspricht 25 %). Das signifikante Übergewicht im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (ABI) ist auffällig und setzt den Trend aus dem Vorjahr fort. Dieser Landkreis führt quantitativ fast alle Chronikkategorien an. Allein im Segment der so genannten Propagandadelikte wurden in ABI doppelt so viele Ereignisse festgestellt wie in den anderen beiden Gebietskörperschaften zusammen.

Ereignisse nach Gebietskörperschaften im Vergleich

2024 sind in 15 Fällen rechte und rassistische Gewalttaten/ Anschläge/ Raubdelikte öffentlich geworden (Anhalt-Bitterfeld: 11, Dessau-Roßlau: 3, Wittenberg: 1) und damit 21 % weniger als im Vorjahr (2023:19). Signifikant ist dabei vor allem die Häufung in Anhalt-Bitterfeld. Da dieser Landkreis auch die Zahlen in den Bereichen Propaganda und Demonstrationen anführt, ist hier ein Zusammenhang im Sinne von Gelegenheitsstrukturen wahrscheinlich, zum Beispiel im Umfeld des Christopher Street Day (CSD) im Juni 2024 in Köthen. Im Feld der Ehrverletzungen wie Beleidigung/ Bedrohung/ Nötigung und Verleumdung ist mit 49 Einträgen erfreulicherweise ein leichter Rückgang um 19 % (2023: 58 Treffer) festzuhalten.

Rechte Ereignisse Region Anhalt insgesamt

Die Zahlen bei rechtsextremen und rechtsoffenen Demonstrationen/ Kundgebungen/ Saalveranstaltungen sind mit 131 fast unverändert (2023: 125 Treffer) und damit signifikant höher als vor der Coronapandemie, wo im Schnitt nur 30 solcher Ereignisse pro Jahr in der entsprechenden Chronikkategorie feststellbar waren. Die Demos, zumeist organisiert aus dem verschwörungsoffenen „Querdenken“-Milieu und der rechtsextremen AfD, richteten sich anfänglich noch gegen die staatl. Coronamaßnahmen und instrumentalisierten später fast monothematisch die Sorgen der Menschen rund um Energiekrise und Inflation oder bedienten russlandsolidarische Diskurse und Narrative der Reichsideologie.

Delikte / Ereignisse 2024

Rechte und neonazistische Propagandadelikte und Sachbeschädigungen sind mit 635 Treffern im Vergleich zu 2023 (386) um fast 64,4 % explosionsartig angestiegen und machen damit fast 63,3 % aller Chronikeinträge aus. Im Schnitt sind das fast zwei solcher Delikte am Tag. Auffällig und beispielhaft sind hier regelrechte Propagandaserien in Aken (Elbe) im Landkreis Anhalt-Bitterfeld und in Coswig (Anhalt) im Landkreis Wittenberg zu nennen. Erfreulich ist die Entwicklung, dass offenbar immer mehr rechtsextrem motivierten Taten juristisch aufgearbeitet werden.

Kosten durch rechtsextreme Sachbeschädigungen im Vergleich

So sind die entsprechenden Meldungen in der Chronik in 2024 um 39 % auf 87 Treffer angestiegen (2023:53 Treffer). Der starke Anstieg in der Kategorie „parlamentarische Bestrebungen / Wahlkampf rechtsextremer Parteien“ der mit 82 Treffern signifikant über dem Wert von 2023 liegt, ist auf die Kommunal- und Europawahlen im vergangenen Jahr zurückzuführen. Hier ist zu betonen, dass auch die Einstufung des AfD-Landesverbandes als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz im Jahr 2023 eine Rolle spielt, gehen die meisten Meldungen doch auf diese Partei zurück.

Kosten durch rechtsextreme Sachbeschädigungen im 12-Jahres Vergleich

Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt

Nach wie vor sind in der Region mehrere neonazistische und extrem rechte Personenzusammenschlüsse in Form von „Kameradschaften“ oder Parteien aktiv. Trotz wiederholter „Auflösungen“ und Neugründungen solcher Strukturen, stehen dahinter zumeist dieselben Akteur:innen, welche auch überregional vernetzt sind. Das „Aktionsspektrum“ reicht dabei von Propagandadelikten über Demonstrationen und Kundgebungen bis hin zu Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt. Der durchschlagende Erfolg der AfD bei Kommunal- und Europawahl führte zu einem sichtbar gesteigerten Selbstvertrauen der gesamten extrem rechten Szene. Gerade in Dessau-Roßlau lässt sich am Personal die Verschmelzung der AfD mit dem extrem rechten Milieu beobachten

Personenzusammenschlüsse: Freeway Riders Mittel / Elbe

Die „Freeway Riders Mittel / Elbe“ sind ein rechtsextremer Motorradclub, der als Nachfolgeorganisation der vom Verfassungsschutz beobachteten Brigade 8 gilt.„President“ des Chapters ist Heiko Behr, der Bruder des verstorbenen Rechtsrockunternehmers Henry Behr, der ebenso Teil des Chapters war. Auch in anderen Bundesländern sind die Freeway Riders in extrem rechte Unternehmer-Strukturen eingebunden. In der Region existiert zudem das Chapter Bitterfeld/Ostfront, mit dem Mittel/Elbe eng kooperiert.

18. Oktober 2024 / Gräfenhainichen
Die Beerdigung von Henry Behr war ein Zusammentreffen vieler überregional relevanter Rechtsextremer. So waren Rechtsrock- Unternehmer aus Deutschland und der Schweiz genauso anwesend, wie frühere Mitglieder verbotener Neonazi-Gruppen.

Foto: Presseservice Rathenow, 12.06.2021, Roßlau

Personenzusammenschlüsse: Königreich Deutschland

Das 2012 gegründete „Königreich Deutschland“ ist eine reichsideologisch und esoterisch geprägte Sekte, die vom selbsternannten „König“ Peter Fitzek angeführt wird. Fitzek und sein Königreich traten in den letzten Jahren mit illegalen Bank- und Versicherungsgeschäften sowie Querelen mit der öffentlichen Verwaltung, die teilweise auch zu tätlichen Angriffen auf Verwaltungsangestellte durch Fitzek mündeten, in Erscheinung. Der seit 2021 beobachtete Zugewinn an Anhänger:innen ist durch erfolgreiche Behöreninterventionen abgeebbt. Nach einer Razzia im Herbst 2023 werden die Immobilien in Wittenberg nicht mehr genutzt.

16. September 2024 / Wittenberg
Der selbsternannte König Peter Fitzek wird rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt.

Foto: Projekt Gegenpart, 25.06.2022, Wittenberg

Personenzusammenschlüsse: Der III. Weg

Die neonazistische Kleinstpartei ist seit Beginn 2020 wieder in der Region aktiv, Schwerpunkte liegen in Dessau, Köthen und Aken. Zumeist beschränkt sich das Aktionsspektrum auf Propagandadelikte wie Plakat- oder Stickeraktionen. Seltener werden auch Schulungen und sog. Streifgänge organisiert.

29. Juli 2024 / Region Anhalt
Laut Selbstbezichtigung gründet die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ den Stützpunkt Anhalt. Stützpunktleiter ist der im Verfassungsschutzbericht namentlich erwähnte Björn Rimmert.

Foto: Pressefuchs Brandenburg am 31.08.2024 in Zeitz

20. April 2024 / Köthen
Die Köthener Ausgabe des Anzeigenblatts Super Sonntag veröffentlicht unter dem Titel „Ein Dutzend Titel bleiben hier“ einen Artikel, der über die sportlichen Erfolge eines Kraftsportvereins berichtet. Das brisante: auf dem Gruppenfoto zum Artikel ist Maik Sch. abgebildet, der der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ zugerechnet werden kann.

02. Juni 2024 / Aken
Am selben Tag, an dem in der Akener Marienkirche eine Veranstaltung als Reaktion auf die Verbrennung des Tagebuchs der Anne Frank stattfand, wird ein Banner mit der Aufschrift „Deutsche Jugend statt Genderwahn NRJ III“ entdeckt und entfernt. Das Kürzel „NRJ“, steht für „Nationalrevolutionäre Jugend“, die Jugendorganisation der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“.

Personenzusammenschlüsse: Rechte Jugendgruppen

Wie im Gesamten Bundesgebiet sind auch in der Region Anhalt vermehrt Gruppen rechter Jugendlicher auszumachen. Bislang gibt es jedoch im Gegensatz zu Gruppierungen wie der „Elblandrevolte“ bislang keine wahrnehmbaren Institutionalisierungsprozesse oder Medienpräsenzen. Ein nennenswerter Teil der Jugendlichen scheint sich in der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, respektive der NRJ zu sammeln. Doch auch lose Personenzusammenschlüsse machten im vergangenen Jahr durch Angriffe auf alternative Projekte von sich Reden, die jedoch bislang nicht öffentlich gemacht wurden.

Foto: Projekt GegenPart im August 2023 in Köthen

Personenzusammenschlüsse: Alternative für Deutschland

Seit dem 08. November 2023 führt das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt die Alternative für Deutschland als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“. In der Region Anhalt sind alle Kreisverbände in unterschiedliche Form durch extrem rechte Positionierungen geprägt.

13. Februar 2024 / Bitterfeld-Wolfen
Anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg spricht der AfD Stadtverband Bitterfeld-Wolfen in einem Post von „alliierten Bombenterror“. Dies ist ein geschichtsrevisionistisches Narrativ, das extrem rechte Gruppierungen in diesem Kontext immer wieder verbreiten und seit den 1990-iger Jahren Großaufmärsche durchführten. Daniel Roi, AfD-Landtagsabgeordneter aus Bitterfeld-Wolfen, nahm 2009 an einem solchen Neonaziaufmarsch in Dresden teil.

07. März 2024 / Dessau-Roßlau
Laut MZ fragte u. a. die aus Dessau-Roßlau stammende AfD-Landtagsabgeordnete Nadine Koppehel in Form einer kleinen Anfrage an die Landesregierung, wie konkret der Personaleinsatz der Polizei zum Schutz der Dessauer Synagoge aussehe. Dazu MdL Sebastian Striegel: „Rechtsextreme wollen ausspähen, statt Sicherheit für Juden und Muslime zu schaffen“.

13. Mai 2024 / Dessau-Roßlau, Magdeburg
Wie der MDR berichtet, ist eine Debatte um die Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern der AfD-Landtagsfraktion in Magdeburg entbrannt. Demnach würden bereits 4 AfD-Mitarbeiter eine Vergangenheit in der 2009 verbotenen, rechtsextremen Organisation Heimattreue Deutsche Jugend aufweisen, darunter Laurens Nothdurft und der Roßlauer Patrick Harr.

07. Juni 2024 / Bitterfeld-Wolfen, OT Wolfen
Laut MZ hat der AfD Bundestagsabgeordnete Kay-Uwe Ziegler das Kunstfestival „Osten“ harsch kritisiert. Er habe via Social Media den Oberbürgermeister Armin Schenk aufgefordert, dass „Osten“-Festival sofort zu beenden und außerdem Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz erstattet. Umstritten war, dass die Künstlerin neben der Installation ein Plakat gezeigt haben soll, auf dem in ukrainischer und deutscher Sprache die Herstellung eines Molotowcocktails erklärt worden sei. Das Werk, sei laut Festivalleiter Aljoscha Begrich bereits am zweiten Festivaltag von den Organisatoren entfernt worden, weil das Potenzial für Irritationen zu groß wäre.

30. Juli 2024 / Dessau-Roßlau, OT Roßlau
Wie die MZ berichtet, forderte der Roßlauer Ortsbürgermeister Laurens Nothdurft in einem Schreiben an Oberbürgermeister Robert Reck die Absage des am 03. August 2024 geplanten Demokratiefestes „Roßlau rockt“ gefordert. Nothdurft begründete seine Intervention damit, dass die auftretenden Bands angeblich eine „linksextremistische“ Vita hätten.

Foto: Projekt GegenPart im Mai 2024 im Landkreis Anhalt-Bitterfeld

Die AfD nach der Wahl

In der gesamten Region konnte die AfD bei Kommunal-, Kreistags und Europawahlen sehr gute Ergebnisse erreichen. In den meisten Orten wurde sie stärkste Kraft. Insbesondere die Personalentscheidungen des AfD Ortsverbands in Dessau-Roßlau fielen dabei ins Auge: Im Kommunal-Wahlkampf waren mit René Diedering und Laurens Nothdurft zwei Personen extrem sichtbar, die bis dahin nicht als Parteimitglieder auftraten. Beide haben eine Vergangenheit im neonazistischen Spektrum gemeinsam. Laurens Nothdurft gehörte zur Führungsriege der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Dies verhinderte auch nicht, dass er zum Ortsbürgermeister von Roßlau gewählt wurde. René Diedering ist nach der Wahl aufgrund einer verschwiegenen NPD-Mitgliedschaft aus der AfD ausgetreten um einem Ausschluss zuvorzukommen. Er ist nach wie vor Teil der Fraktion. Beide Personalien zeigen, wie weit sich rechtsextreme Kader in der Partei normalisiert haben – und dass die AfD nicht trotzdem, sondern auch deswegen gewählt wird.


Montagsdemos

Mittlerweile haben sich die Montagsdemos in der gesamten Region reduziert. Die Veranstaltungen, die noch stattfinden haben einen kleinen aber konstanten Kern an Teilnehmer:innen entwickelt. Bindeglied sind eine ausgeprägte Politikverdrossenheit wie auch ein Hang zum Verschwörungsdenken. Zu den Montagsdemos in Dessau-Roßlau haben wir im Juni ein ausführliches
Analysepapier
veröffentlicht. In Wittenberg hat sich abgesehen von den seit langem laufenden Konflikten inhaltlich und personell wenig verändert. Ihren Leuchtturmstatus in der Region haben die Veranstaltungen jedoch verloren. In Bitterfeld-Wolfen werden die Veranstaltungen einmal monatlich vom dortigen AfD- Stadtverband ausgerichtet. In Köthen und Zerbst finden ebenfalls nach wie vor kleine Veranstaltungen statt, dort jedoch hält sich das Sendungsbewusstsein der Orga-Gruppen in Grenzen.

Foto: Presseservice Rathenow am 17.06.2024 in Dessau

Rechte Bedrohungsszenarien

02. August 2024 / Dessau-Roßlau, OT Roßlau
An mehreren Orten in Roßlau sind Flyer aufgetaucht, die durch das abgedruckte Logo der Initiative „Buntes Roßlau“ den Eindruck erwecken, sie stammten von diesem Verein. Zudem enthält das Pamphlet mit „Kostenloser Blowjob gegen Rechts“ eine klare, sexualisierte Beleidigung. Auf die rechtsextreme Motivation deutet zudem der ebenfalls aufgedruckte Hashtag „fckafa“ hin. Der Fall reiht sich in eine Serie von Berdohungsszenarien gegenüber den Engagierten des Vereins ein.

30. Juni 2024 / Köthen
Wie die MZ berichtete, haben bislang unbekannte Täter einen Angriff auf einen Studierendenwohnheim der Hochschule Anhalt verübt und dabei Scheiben der Eingangstür beschädigt und die Gegensprechanlage zerstört. Zeugen haben zudem wahrgenommen, dass dabei auch rassistische Parolen wie „Ausländer raus“ gefallen sein sollen. Von der Attacke kursierten auch Videos im Netz, offensichtlich gefilmt von Bewohnern des Heims.

Foto: Projekt GegenPart am 03.08.3034 in Roßlau

Rechte Propagandaserie in Aken: NS-Relativierung & Verherrlichung

In Aken kam es im vergangenen Jahr zu einer Serie extrem rechter Propagandadelikte. So konnten mehr als 82 Ereignisse, darunter Hakenkreuz- und SS-Schmierereien und illegale Flyer-, Plakat und Stickeraktionen, dokumentiert werden. Dabei wurden regelmäßig NS-Verherrlichende Parolen festgestellt. Den Höhepunkt stellte die Verbrennung des Anne-Frank Tagebuchs dar. Einige der Delikte können einer Jugendclique, die dem III. Weg nahesteht, zugeordnet werden.

29. Mai 2024 / Aken
Die Meldung, dass drei Jugendlichen aus Aken das Tagebuch der Anne Frank verbrannt haben, ging bundesweit und international durch die Presse. Als Reaktion hat der Verein „Wir mit Dir e. V.“ zusammen mit der Stadtverwaltung innerhalb von nur 48 Stunden die Veranstaltung „Gegen jeden Antisemitismus – Für ein demokratisches Miteinander in Aken (Elbe)“ auf die Beine gestellt, die am 02. Juni 2024 in der Akener Marienkirche stattfand. Dass sich die Tat in eine Serie von rechtsextremen Delikten einreihte bestärkte den Verein darin, unverzüglich zu handeln.

Queer- und Homofeindliche Ereignisse: CSD Köthen

Bereits im Vorfeld des CSD wurde eine Drohkulisse gegenüber der Veranstaltung aufgebaut. Trotz eines Buttersäureanschlags auf den Bahnhof und den Marktplatz, auf dem auch Schrauben und Nägel verteilt wurden, kann die CSD-Kundgebung dort stattfinden, schließlich kommen knapp 400 Menschen zusammen um auch im ländlichen Raum für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einzustehen. Leider wurden auf Hauswänden unzählige Homofeindliche Graffiti  wie „God hates Fags“ (Gott hasst Schwule) angebracht, teils mit Morddrohungen wie etwa „Kill all Gays“ (Tötet alle Homosexuellen). Diese Schmierereien werden jedoch teilweise auch von den Polizeibeamt:innen verdeckt, die die Veranstaltung absichern. Zudem kam es zu mindestens drei Körperverletzungsdelikten und zahlreichen homophoben Beleidigungen. Zum Glück kam es nicht zu Szenen wie in Bautzen oder Halle, was jedoch auch am relativ frühen Zeitpunkt der Demo gelegen haben dürfte.

Foto: Projekt GegenPart am 15.06.2024 in Köthen

Antisemitische Ereignisse

30. Mai 2024 / Aken
In Aken konnte an der ehemaligen NP-Filiale in der Bärstraße ein Hakenkreuz und die antisemitische Parole „Juden töten“ festgestellt werden. Die politische Motivation ist auch deshalb eindeutig zu kontextualisieren, weil sich auf dem A4-Blatt zudem der rechtsextremen Zahlencode „1161“ (Anti-Antifaschistische-Aktion) und eine sogenannte Triskele befand.

07. Oktober 2024 / Bitterfeld-Wolfen
Nach Recherchen des X-Kanals „KonLex09“ hat der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Roi auf einer Montagsdemonstration Israel vorgeworfen, eine Regierung zu sein, die Völkermord betreibe. Ein Video belegt diese Aussage. Israel ohne entsprechende und vor allem justiziable Beweise „Völkermord“ vorzuwerfen, kann als strukturell antisemitisch bezeichnet werden. Es zeigt auch, dass die vermeintliche „Israelfreundlichkeit“ der AfD von einem instrumentellen Verhältnis zum jüdischen Staat geprägt ist.


Resümee

Die registrierten rechtsextremen Delikte, Angriffe und Ereignisse in der Region Anhalt sind nach einem starken Anstieg 2023 im letzten Jahr (2024) erneut überproportional angestiegen. Hierbei handelt es sich erneut um ein absolutes Allzeithoch, dass seit Bestehen der Chronik (1999) für ein Jahr registriert werden konnte – und dies mit 1004 Ereignissen erstmals vierstellig. Dass fast 64% der Chronikmeldungen dem Bereich der rechtsextremen Propaganda zuzurechnen sind ist ein Befund, der auch in den vergangenen Jahren zu verzeichnen war. Entgegen dem Landestrend in Sachsen-Anhalt – allein im Dezember 2024 kam es nach dem brutalen Terroranschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt dort zu einer Welle rassistischer Taten – haben rechtsextreme Gewaltstraftaten in der Region Anhalt um 21% abgenommen. Offen bleibt der Hintergrund dieses Rückgangs. Naturgemäß gehen Faktoren wie eine stille Resignation, Angst vor Konsequenzen oder Behörden, wie auch Wegzüge aufgrund der gestiegenen Bedrohungslage nicht in die Statistik ein.

Die Seit Herbst 2023 in Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextrem“ geltende AfD hat ihre Radikalisierung im vergangenen Jahr kaum mehr kaschiert. Mit Laurens Nothdurft und René Diedering konnten im Kommunalwahlkampf zwei Akteure mit klar neonazistischer Vita für die Partei Wahlkampf betreiben. Die Erfolge, welche die Partei trotz – oder wegen – dieser Personalien verzeichnen konnte bestätigen den Befund, dass ihre Radikalisierung der Partei eher nützt als schadet. Zudem ist zu beobachten, dass sich nennenswerte Teile ihrer gemäßigten Anhänger:innen gemeinsam mit der Partei radikalisiert haben. Die Konsolidierung der Partei als Machtfaktor auf verschiedenen politischen Ebenen spiegelt sich auch in Beratungsprozessen wieder. Das gesellschaftliche Klima ist für demokratisch Engagierte zunehmen rauer geworden, teils wird ihr Engagement auch aufgrund der Wahlergebnisse in Frage gestellt.

Auch der bundesweite Trend zu einem Erstarken des jugendlichen Rechtsextremismus war in der Region zu erkennen. Im Gegensatz zu den medial bekannteren Fällen können wir allerdings keine einflussreichen Social-Media Profile oder öffentlich zur Schau gestellte Gruppenstrukturen erkennen. Umso wichtiger ist es, denjenigen die sich nach wie vor für die Demokratie und gegen rassistische, antisemitische, queerfeindliche und andere menschenfeindliche Tendenzen engagieren, den Rücken zu stärken. Mit Blick auf die anstehende Landtagswahl 2026 sind dies die wichtigsten Multiplikator:innen für eine demokratische Kultur, weshalb politische Akteur:innen aller Ebenen diese Ressource verstärkt anerkennen sollten.