„Eine grausige Kontinuität in diesem Land“
Gedenkkundgebung mit 85 Teilnehmenden zum Tag der Erinnerung 2024
Etwa 85 Personen versammelten sich am Nachmittag des 11. Juni im Dessauer Stadtpark um Alberto Adriano, der vor nunmehr 24 Jahren ermordetet wurde, zu gedenken. Schon im Vorfeld der Veranstaltung war die Stimmung merklich gedrückt, die Ergebnisse der Wahlen am vergangenen Sonntag beschäftigten die Anwesenden sichtlich, wie auch aus den Gesprächen im Vorfeld herauszuhören war. Ein Passant fragte auch mit welcher Berechtigung die Veranstaltung stattfinde wenn die AfD doch nunmehr über eine Mehrheit verfüge.
Diese Ergebnisse waren auch wiederkehrendes Thema der gehaltenen Redebeiträge. So betonte Moderator Daniel Kutsche vom Projektschmiede Dessau e.V. wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement gerade jetzt sei. Die erste Rednerin Eter Hachmann, Sozialdezernentin der Stadt Dessau-Roßlau, griff dies ebenso auf. In einem sehr emotionalen Redebeitrag betonte sie die Fragilität der Demokratie und stellte die Frage welche Fehler in der politischen Bildung gemacht wurden, die dazu führten, dass sich ein großer Teil der Jugendlichen der extremen Rechten zuwendet. Zugleich griff sie in ihrer Rolle als politische Beamtim auch das häufig missverstandene Neutralitätsgebot auf und betonte wie wichtig es ist, sich nicht neutral zu den im Grundgesetz verankerten Werten zu verhalten.
Als zweite Rednerin sprach Katarina Stjepandić, die als Vertreterin der Antirassismusbeauftragten des Bundes vor Ort war. Sie begann ihren Beitrag mit einem Zitat aus dem anlässlich des Mordes an Alberto Adriano entstandenen Song „Adriano (letzte Warnung)“ der Gruppe Brothers Keepers. Sie betonte in Zustimmung zu ihrer Vorrednerin die Wichtigkeit des Erinnerns, ohne das sich in diesem Land nichts verändern kann – zumal sich Dessau in eine „grausige Kontinuität in diesem Land einreiht“, woraufhin sie auf einige Orte hinwies an denen rassistische Morde begangen wurden – nicht ohne zu unterstreichen, dass es sich dabei um eine unvollständige Aufzählung handle.
Als dritte Rednerin sprach schließlich die Direktorin der Bauhaus Stiftung Barbara Steiner. Sie unterstrich, dass ein trauriger aber wichtiger Tag sei, da an einen Umstand erinnert werde, den viele lieber nicht wahrnehmen wollen. Sie betonte, dass zwar viele stolz auf Kultur und Geschichte seien, aber nur so lange man sich auch positiv darauf beziehen kann. Daraufhin griff sie den Mord an Li Yangjie, einer chinesischen Studentin im Jahr 2016 auf. Auch an diesen werde kaum erinnert, auch wenn dieser, wie auch der Mord an Adriano, nur unweit der Touristenattraktion Bauhaus begangen wurden. Kultur sei nur willkommen wenn sie strahle, kritisierte die Direktorin, dabei könne man doch nicht über das strahlende Erbe sprechen ohne nicht auch das dunkle mitzudenken. Nach einem kurzen Exkurs zur Geschichte des Bauhaus und der Gleichzeitigleit nationalsozialistisch gesinnter und jüdischer Studierenden, die später in den Konzentrationslagern ermordet wurden, betonte sie schließlich, dass man jedoch nicht in der Vergangenheit verharren dürfe, da man sonst Gefahr läuft das Schlechte der Gegenwart zu verdrängen.
Szenenwechsel. Fast ein Drittel der Gedenkgäste aus dem Stadtpark fanden danach begleitet durch eine Trommelgruppen den Weg an den Dessauer Hauptbahnhof. Hier ist seit dem letzten Jahr (mehr dazu hier…) ein Gedenkort für Hans-Joachim Sbrzesny eingerichtet. Der vermeintlich obdachlose Mensch wurde dort auf einer Parkbank am 01. August 2008 von zwei Neonazis brutal ermordet.
Igor Matvijety von der Antidiskriminierungsberatung Anhalt (LAMSA e. V.) sagt dazu: „Das Leben von Hans-Joachim Sbrzesny erschien in den Augen von zwei Männern wertlos. Es reichte dafür aus, dass er auf der Straße schlief.“ Die sozialdarwinistische Motivation der Tat zeige dabei das ganze Ausmaß an Verachtung und der menschenfeindlichen Vernichtungsfantasie der Täter. Und in einem weiteren Punkt übt der LAMSA-Vertreter harsche Kritik. „Für uns ist das klar, aber für die staatlichen Organe Sachsen-Anhalts nicht. So erfuhr Hans-Joachim Sbrzesny auch nach seiner Ermordung weiterhin Unrecht, denn das Gericht erkannte das rechtsextreme Motiv der Täter nicht an, würdigte es in seinem Urteil nicht.“ Auch an reflexiver Selbstkritik spart der Berater zum Schluss nicht: „Wir alle tragen zum Überleben dieses menschenverachtenden Weltbildes teil, wenn wir heute das Wort asozial verwenden oder wenn wir hinnehmen, dass öffentliche Bänke und Unterstände mit Abwehrvorrichtungen versehen werden, damit wohnungslose Menschen in ihrem Leben noch weiterhin drangsaliert werden.“
Es blieb dem Moderator Daniel Kutsche vorbehalten, sich stellvertretend für den Organisationskreis um das Multikulturelle Zentrum Dessau, der Auslandgesellschaft Sachsen-Anhalt, der Jüdischen Gemeinde zu Dessau oder dem Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE für diesen wichtigen Impuls zur Gedenkkultur in dieser Stadt zu bedanken.
Fotos: Projekt GegenPart am 11. Juni 2024 in Dessau