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„Auswirkungen einer gewachsenen politischen Kultur“

Eine Analyse zu den Kommunal-, Landrats und Europawahlen in der Region Anhalt

Das durchweg gute Abschneiden der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften AfD in den ostdeutschen Ländern ist als eine Katastrophe mit Ansage zu deuten. Auch wenn Wahlergebnisse nur ein Gradmesser des gesellschaftlichen Klimas sind1, muss hier von den Auswirkungen einer über Jahrzehnte hinweg gewachsenen politischen Kultur gesprochen werden. Dabei muss betont werden, dass die AfD ihre Rolle als Strukturverstärker extrem rechter Politiken nun auch mit einer relativen Mehrheit ausführen kann. Um die Ergebnisse einzuordnen sollen im Folgenden einige Angebote gemacht werden, die politische Situation und was aus ihr folgt zu interpretieren.

Nennenswerte Unterschiede in den Ergebnissen vor Ort

Augenfällig ist zunächst die teils beachtenswerte Differenz zwischen Kommunal, Kreistags- und Europawahl Ergebnissen, die in der Stadt Zerbst (Anhalt) besonders deutlich zu Tage treten. Dort Erreichte die AfD bei den Europawahlen 32,6% der Stimmen, die CDU 22,3% die SPD hingegen 9 % . Bei den Kreistagswahlen wiederum schnitt die AfD mit 29,3% erheblich schlechter ab, die SPD wiederum liegt mit 23,4% deutlich über dem Europa-Ergebnis und klar vor der CDU, deren Liste 16,7% der Stimmen bekam. Diese starke Differenz lässt sich in Teilen mit der starken Präsenz von Bundeskanzler Scholz im Europa-Wahlkampf der Sozialdemokraten und der Ablehnung der Regierungspolitik erklären. Bei der Kommunalwahl in Zerbst hingegen schnitten alle drei Parteien schlechter ab als bei der EU-Wahl, dort erreichte die AfD 28,7%, die CDU 19,5 und die SPD 13,3%. Dies lässt sich in Teilen sicherlich mit dem stärkeren Ergebnis der Freien Fraktion sowie sonstiger Parteien erklären.

Im Landkreis Wittenberg ist wiederum die Differenz zwischen Europa- und Kreistagswahl augenfällig: Während die CDU im Kreistag mit 29,9% der Stimmen vor der mit 28,8% zweitplatzierten AfD lag, war das Verhältnis bei der Europawahl umgekehrt. Dort erlangten die Christdemokraten mit 26,1% klar hinter der mit 31,4 % erstplatzierten AfD. Zumindest ein Teil dieser Differenz lässt sich durch die rechtsoffenen regionalen Wählerbündnisse „Allianz der Bürger“ und „Frei und Parteilos“, die aus dem Montagsmahnwachen-Spektrum stammen und nicht zur EU-Wahl antraten erklären – diese Gruppen erreichten gemeinsam 3,2% der Stimmen. Hier lohnt es sich zudem auf die unterschiedliche Gewichtung der Wahlen zu verweisen, in der Politikwissenschaft wird nicht ohne Grund von als Haupt- und Nebenwahlen wahrgenommenen Abstimmungen gesprochen. Hier scheint die These plausibel, dass einerseits aufgrund der geringen Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Parlaments, aber auch der größeren Distanz zu europäischen Themen im Gegensatz zu Fragen der Kommunalpolitik, dort die Bereitschaft größer ist aus Protest die AfD zu wählen. Zugleich kann dies aber den Erfolg nur eingeschränkt erklären, zumal die Partei abgesehen von Bitterfeld-Wolfen kaum lokale Themen zum Schwerpunkt gemacht hat.

Amtsboni starker Kandidat:innen

In der Stadt Köthen hingegen ist das gute Abschneiden der Linken auffällig, die bei der Kreistagswahl mit 21,7% deutlich über dem Gesamtergebnis im Landkreis von 9,6% liegt. Die lässt sich vermutlich in Teilen – wie auch das starke Abschneiden der SPD, durch die Popularität der Bürgermeisterin Christina Buchheim, respektive Andreas Dittmann in Zerbst, erklären. Doch auch hier ist die Differenz zur Kommunalwahl, wo die Linke bei 15,9% liegt bemerkenswert. Auch die AfD schnitt in Köthen bei der Kreistagswahl mit 28,3 % etwas besser ab als bei der Kommunalwahl wo sie 26,2% erreichte. In Raguhn-Jeßnitz wiederum, wo seit vergangenem Jahr mit Hannes Loth ein AfD-Bürgermeister im Rathaus sitzt, schnitt die Partei mit 43,1% deutlich überdurchschnittlich ab und konnte das landkreisweite Ergebnis übertreffen. In der Stadt Zörbig wiederum erreichte die CDU bei der Kreistagswahl mit 45,4% ein Ergebnis, das deutlich über dem Endergebnis im Landkreis von 25,9% liegt. In Aken (Elbe) wiederum trat die AfD nicht zur Kommunalwahl an, erreichte bei der Kreistagswahl trotzdem 31,5%.

Unterschiedliche Erfolge extrem rechter Kandidaten

Besonders bedenklich ist das Ergebnis in der Stadt Bitterfeld-Wolfen. Dort gelang es zwar bei der Wahl des Oberbürgermeisters im vergangenen Jahr noch, einen Sieg des AfD-Kandidaten in der Stichwahl zu verhindern, doch es scheint als hätte die gezielte Delegitimierungskampagne der AfD verfangen. Nun verfügen die AfD und das rechtspopulistische Wählerbündnis Pro Wolfen gemeinsam über eine absolute Mehrheit im Stadtrat, was der Bundestagsabgeordnete Kay-Uwe Ziegler bei Instagram erfreut kommentierte: „Damit haben wir die Mehrheit im Stadtrat. Holen wir uns unser Bitterfeld-Wolfen zurück.“

Die in „Die Heimat“ umbenannte NPD wiederum verlor ihr Kreistagsmandat in Wittenberg. Sie erlangte einen Sitz im Ortschaftsrat Roßlau, wo mit Marcel Kerner neben Laurens Nothdurft, der für die Bürgerliste Roßlau einzieht , nun zwei Kandidaten mit Verbindungen zur extremen Rechten gewählt wurden. Außerdem trat in Oranienbaum-Wörlitz, OT Gohrau mit Benjamin Focke, der für die Heimat als Ortsvorsteher kandidierte, nur eine Person an, entsprechend wird er in Zukunft dieses Amt ausführen.

Auch zwischen den Landkreisen und der Kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau sind die Unterschiede groß: zwischen dem Ergebnis der AfD in Anhalt-Bitterfeld (32,8%), wo sie strukturell gut aufgestellt ist, über bekannte Kandidaten verfügt und im Gegensatz zum Landkreis Wittenberg und Dessau-Roßlau auch regionalspezifische inhaltliche Akzente setzte und dem in der Stadt Dessau-Roßlau (25,5), wo sie mit Kandidaten die erst kurz vor der Wahl als AfD-Mitglieder in Erscheinung traten Wahlkampf machte, liegen mehr als 7 Prozentpunkte. Doch trotz der Tatsache, dass die AfD in der kreisfreien Stadt mit zwei Kandidaten Wahlkampf machte, die vor dem Wahlkampf nicht als AfD-Politiker in Erscheinung traten und über eine einschlägige Vergangenheit in der extremen Rechten verfügen – Rene Diedering im Neonazispektrum, Laurens Nothdurft als Aktivist der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend – wurden sie stärkste Kraft. Ob dies nun trotz oder wegen ihrer extrem rechten Kandidaten erreicht wurde bleibt offen, führt jedoch zu einem relevanten Aspekt für die Analyse der Ergebnisse.

Sozialräumliche Faktoren & historische Kontinuitätslinien

Gerade die Ergebnisse der Europawahl ermöglichen trotz der relativen Schwankungen eine Analyse von Ost-West unterschieden. Denn während die AfD in der Bunderepublik 15,9% der Stimmen erhielt, lag das Ergebnis in den Ostdeutschen Ländern zwischen 27,5% in Brandenburg und 31,8% in Sachsen. Dies gilt es Multifaktoriell zu erklären, ein relevanter Ansatzpunkt hierfür sind die Ergebnisse einer Untersuchung des Leipziger Else Frenkel Brunswik Instituts. Auf der Datengrundlage der Leipziger Autoritarismusstudie stellten sie die Ergebnisse einiger Einstellungsmuster auf die ostdeutschen Bundesländer aufgeschlüsselt dar. Dabei sticht insbesondere die deutlich höhere Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen ins Auge, die in Ostdeutschland bei 27,9% liegt, in Westdeutschland bei 12,6%. Dies passt gut zu den Ergebnissen einer Nachwahlumfrage der Tagesschau, in der insbesondere die Aussage „Ich finde es gut, dass [die AfD] den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen begrenzen will“, sowie die Nennung von Zuwanderung als zentrales Thema für die Wahlentscheidung dokumentiert wurde.  Doch auch Sorgen vor sozialem Abstieg und eine generelle Unzufriedenheit mit der Bundespolitik spielen eine Rolle.

Ebenso zu bedenken ist auch die Rolle einer historisch gewachsenen politischen Kultur. So ist etwa an die Landtagswahl 1998 in Sachsen-Anhalt zu erinnern, wo die DVU ein bis dahin für eine extrem rechte Partei präzedenzloses Ergebnis erreichen konnte. Deren damalige Hochburgen sind auch heute Hochburgen der AfD, so etwa die Region um Bitterfeld. Dabei hat sich diese politische Lage der Tendenz nach verstärkt und verfestigt, auch durch den Wegzug gut ausgebildeter junger Leute, teils aufgrund mangelnder Perspektive teils aufgrund der Stärke einer rechten Zivilgesellschaft und der daraus folgenden Bedrohungslage, die unter dem Hashtag #Baseballschlägerjahre diskutiert wurde. Soziologische Studien haben gezeigt, dass gerade Überalterung, der Wegzug junger und gut ausgebildeter Personen, ein Männerüberhang und ein Gefühl von Perspektivlosigkeit die Herausbildung autoritärer Einstellungen befördern. All diese Faktoren treten insbesondere in Ostdeutschland zu Tage, was den Journalisten Ralf Fischer in einer Polemik auf X zur These verleitete, dass „die Geburtsschmerzen der Wiedervereinigung chronischen Schmerzen gewichen sind“.

Trotz alledem gilt es gerade jetzt nicht in Schockstarre zu verfallen. Denn auch wenn die AfD in Ostdeutschland Rekordergebnisse verzeichnen konnte, war dies nicht einmal in der Region Anhalt überall der Fall. Und trotz der relativen Stärke der AfD ändert sich das Bild etwas, wenn man SPD, Grüne und Linke zu einem „linksliberalen Block“ zusammenfasst. Dieser erreichte in den meisten Gebietskörperschaften Werte um die 22%, in Köthen wäre dieser Block mit 30,6% sogar die stärkste Fraktion. Und trotz der Stärke der AfD konnte die CDU die Kreistagswahl im Landkreis Wittenberg für sich entscheiden. Nun liegt es auch an der CDU die Frage zu stellen, wie stark die vielbeschworene Brandmauer ist. Nicht ohne Grund weisen Politikwissenschaftler:innen wie Natascha Strobl seit Jahren darauf hin, dass gerade die Anbiederung an Themensetzung der extremen Rechten, etwa in der Migrationspolitik, deren Positionen legitimiert. Auch die Ermangelung eines nach vorne gerichteten Gesellschaftsentwurfs, der Versuch einer Antwort auf die Frage, wie wir über den Erhalt des Status Quo hinaus zusammenleben wollen wäre ein Ansatz den Erfolgen der extremen Rechten etwas entgegen zu stellen. Denn wenn die Zukunft trüb erscheint, wird die Vergangenheit zum Sehnsuchtsort.  

  1. Transparenzhinweis: hier stand zuvor „Auch wenn Umfragen nur ein Gradmesser sind“, was sich auf die vor der Wahl erfassten hohen Umfrageergebnisse beziehen sollte. ↩︎