Öffentliche Reaktion auf Verbrennung des Tagebuchs der Anne Frank
Nur wenige Tage nachdem Jugendliche in Aken das Tagebuch der Anne Frank verbrannt hatten (mehr dazu hier…), zeigten in der Akener Marienkirche viele Menschen Gesicht gegen jeden Antisemitismus. Von der Resonanz waren nicht nur die Organisator:innen um den Akener Verein Wir mit Dir e. V. und der dortigen Stadtverwaltung am 02. Juni 2024 überrascht, fast 200 Menschen fanden an einem Sonntagvormittag den Weg in die Marienkirche um zu zeigen: Aken ist demokratisch. Noch viel wichtiger als diese quantitative Bilanz war freilich das symbolische Signal der dortigen Zivilgesellschaft, die mit einem klaren Stoppsignal auf die vorangegangenen Ereignisse reagierte .
Darauf stellte auch Christine Koschmieder ab, die moderierend durch die Veranstaltung führte und sich sicher war: „Wir müssen über das Geschehene sprechen, nicht darüber hinwegsehen und es auch nicht bagatellisieren.“
Für Akens Bürgermeister Hendrik Bahn ist die Tat an der Bushaltestelle die nur 50 Meter vom Veranstaltungsort entfernt ist, immer noch nicht begreiflich: „Ich kann immer noch nicht in Worte fassen, wie mich dieser barbarische Akt in unserer Stadt verletzt hat.“ Auf die Frage, was da eigentlich schiefgelaufen sei, hat er nur bedingt eine Antwort: „Wie kann nur so viel Hass gegen einen anderen Menschen, gegen Anne Frank entstehen?“
Jana Müller, ihres Zeichens Mitarbeiterin des Stadtarchives Dessau-Roßlau und selbst Ur-Akenerin, setzt sich seit über 25 Jahren für die Auseinandersetzung und Erinnerung mit dem historischen Nationalsozialismus ein. Sie hat in diesem Kontext dutzende Gedenkstättenfahrten organisiert, zusammen mit Jugendlichen über 20 Filme produziert und viele Holocaustüberlebende interviewt. Mit ihrem Vortrag „Sie lebten hier – Opfer der Shoa aus Aken (Elbe)“ zeigt sie in eindrucksvollen, biographischen Skizzen das der NS-Terror nicht nur irgendwo, sondern praktisch auch „vor der Haustür“ stattfand.
Der Hauptteil des Programms bestand aus einer szenischen Lesung, in der Tagebucheinträge von Anne Frank vorgetragen wurden. Auch hier war es erstaunlich, wie viele Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft sich mehr oder weniger spontan bereiterklärt hatten, sich daran zu beteiligen. Von der Bildungsministerin Eva Feußner bis zum Landrat Andy Grabner, von der Stadträtin Siegrid Reinicke bis zum Verwaltungsleiter der jüdischen Gemeinde zu Dessau Aaron Russ, vom Stadtrat Dr. Lothar Seibt bis zum Mitglied des Akener Jugendbeirat John Kaube, vom Landtagsabgeordneten Dietmar Krause bis zur stellvertretenden Schulleiterin der Sekundarschule Ariana Chwoika, von der Grundschullehrerin Birgit Diedering bis zum Stadtratsvorsitzenden Michael Kiel, von der Stadträtin Elisabeth Zake bis zum Kommunalwahlkandidaten Marco Airoldi, sie alle einte eine zentrale Motivation: Ein starkes Zeichen der Mahnung und Erinnerung zu setzen.
Und bevor Pfarrer Georg Neugebauer ein jüdisches Lied auf der Trompete spielt betont er: „Ich bin hier nicht der erste der seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringt, mir gelingt es einfach nicht zu verstehen.“
Es bleibt der Moderatorin Christine Koschmieder zum Abschluss vorbehalten, die Mitglieder des Vereins Wir mit Dir nach vorn zu bitten und ihnen dafür zu danken, binnen 48 Stunden diese gelungene Veranstaltung auf die Beine gestellt zu haben. Der Applaus ist laut und anhaltend. An diesem Umstand kann auch ein Banner der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ (mehr dazu hier…), dass die Rechtsextremisten just an diesem 02. Juni 2024 am Elbesportpark angebracht hatten, ebenso wenig etwas ändern, wie eine neu entdeckte Hakenkreuzschmiererei an jener, nur 50 Meter entfernten, Bushaltestelle (mehr dazu hier…).
Fotos: Projekt Gegenpart am 02. Juni 2024 in Aken
Quellen: Mitteldeutsche Zeitung vom 02. Juni 2024; eigener Bericht