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„Neutralität ist keine Option“

400 Menschen setzen zwei Tage vor der Bundestagswahl auf dem Dessauer Marktplatz ein starkes Zeichen für Demokratie

Selbst die Wetterheiligen „da oben“ scheinen am 21. Februar 2025 mitzuspielen, statt klirrender Kälte wie noch einen Tag davor, weht fast ein Anflug von Frühling über das Stadtzentrum der Doppelstadt. Petrus belohnt offensichtlich das Engagement vom Netzwerk Gelebte Demokratie Dessau-Roßlau, der Initiative „Dessau Nazifrei“, dem Zerbster Bündnis für Demokratie, dem Akener Verein „Wir mit Dir“, der Initiative „Buntes Roßlau e. V.“, dem Alternativen Zentrum, von „Offen.Bunt.Anders.“ aus Gräfenhainichen und dem Bündnis „Offenes Köthen“. Sie alle haben unter dem Motto „Alle zusammen für Demokratie!“ aufgerufen, klare Kante zu zeigen. Und gekommen sind viele, Jung und Alt, egal ob prominent oder semibekannt, mit Fahrrad oder Rolli, aus Überzeugung oder Sorge. Der ideelle Überschuss zeigt sich in einem bunten Schüttelmix aus allerlei selbstgebastelten Schildern, Botschaften und Statements, die erfreulicherweise meist keinen überzogenen Alarmismus zum Ausdruck bringen, sondern eine demokratische Grundhaltung von links bis konservativ.

So sieht das offenbar auch Saskia Pfalz die zu Beginn für das Netzwerk Gelebte Demokratie spricht: „Die Angst vor dem Fremden wird absichtlich geschürt.“ Das sie damit nicht nur auf die in Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ eingestufte AfD abstellt, wird schnell klar. Der wie sie sagt „Wettlauf wer noch mehr und schneller abschiebt“ ist eine unüberhörbare und offene Kritik an der eskalierenden Migrationsdebatte der letzten Wochen, wobei die Terroranschläge und Amokfahrten in Magdeburg , Aschaffenburg und zuletzt in München zweifellos ein Verstärker waren. Die Rednerin rät zur Differenzierung, es brauche mehr Prävention und am Ende müsse das Grundgesetz verteidigt werden: „Neutralität ist da keine Option“. Zum Schluss schreibt sie der Politik noch ins Stammbuch: „Liebe demokratische Parteien, hört endlich auf mit der AfD um die Wette abzuschieben, kommt zurück in die Mitte.“

Hier schließt Dietrich Landmann vom Zerbster Bündnis für Demokratie nahtlos an: „Die liberalen Demokratien geraten unter Druck“. Für diese Analyse zitiert er ausführlich Dietrich Boenhöffer und ist sich abschließend sicher „gerade in einer Zeit des grassierenden Nationalismus und der Demokratiefeindlichkeit“ viel von dem Wirken und Widerstand des Theologen der Bekennenden Kirche in die Jetztzeit übertragen zu können.

„Wir brauchen gute Löhne, einen zuverlässigen ÖPNV, ein Gesundheitssystem das alle gleich und optimal behandelt, die Gleichstellung der Frauen und das Klimaschutz wieder ernstgenommen wird“, sagt Antje Tietz von Dessau Nazifrei. Sie stellt damit auf die Binsenweisheit ab, das soziale Gerechtigkeit und eine möglichst auskömmliche, staatliche Daseinsfürsorge wohl ein zentraler Baustein für eine gelingende Rechtsextremismusprävention ist. Sie drückt es freilich etwas pointierter aus: „So können wir den Faschisten das Wasser abgraben.“

Christine Koschmieder vom Akener Verein „Wir mit Dir“ wundert sich zunächst, „wo den heute die Stadt und der Oberbürgermeister ist um diese Kundgebung publik zu machen“. Die Schriftstellerin ist der festen Überzeugung, dass ein Großteil der Katastrophe in der viele Demokratien inzwischen steckten, als Ursache dominante Geschichten und Erzählungen seien, die vor allem eine Emotion bedienen, nämlich „Angst“. Szenenapplaus bekommt sie für ein inzwischen auch medial bekanntes Beispiel sich diesen „Ängsten“, diesen negativ konnotierten Erzählungen, zu stellen und dennoch handlungsfähig zu bleiben. Christine Koschmieder spielt dabei auf dem Umstand an, dass provozierende AfD-Akteure bei einem U 18-Wahlforum (für Kinder und Jugendliche) in einem Dessauer Gymnasium ausgeschlossen worden, weil sie nicht eingeladen waren und zudem die Veranstaltung störten.

Marcus Geiger von „Buntes Roßlau“ zitiert genauso so passend wie simpel den Artikel 3 des Grundgesetzes und verbindet dies zugleich mit einem Werbeblock für die 9. Auflage des Events „Roßlau rockt für Demokratie“ (findet im August 2025 statt), dass die Initiative seit Jahren in der Schifferstadt auf die Beine stellt. Bei der letzten Ausgabe von „Roßlau rockt“ hat „Buntes Roßlau“ gespürt was es heißt, wenn ein AfD-Ortsbürgermeister mit Neonazivergangenheit, mithin Laurens Nothdurft, ans Ruder kommt. Dieser hatte nämlich versucht, diese Veranstaltung unter fadenscheinigen und plumpen Begründungen zu verhindern. Er ruft gegen solche Tendenzen zu einem demokratischen und friedlichen Widerstand auf: „Zum Beispiel übermorgen in der Wahlkabine, geht wählen.“

Kathleen Beck von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di beginnt emotional: „Wir waren besonders von dem Anschlag in München betroffen.“ Zugleich redet sie einer Differenzierung in der gesellschaftspolitischen Debatte das Wort: „Hass und Hetze und die Abschiebedebatten sind keine Lösung.“

Es bleibt Daniel Kutsche vom Netzwerk Gelebte Demokratie, der moderierend durch die Kundgebung führte, vorbehalten, abschließend zu einem Bummel an die Wahlkampfstände der demokratischen Parteien einzuladen, die sich um den Dessauer Marktplatz gruppiert haben. Dies verbindet er mit einem appellativen Aufruf: „Ich muss Euch nicht sagen das Ihr am Sonntag demokratisch wählt, sagt es allen und sagt es laut.“