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1.000 Menschen zeigen unter dem Motto „Lichter gegen Rechts“ Gesicht auf dem Dessauer Marktplatz

Klare Botschaften und prominente Redner:innen bei der Kundgebung des Netzwerks GELEBTE DEMOKRATIE am 24. Januar 2024

Noch 15 Minuten von 17.00 Uhr sah es auf dem Marktplatz der Doppelstadt noch recht leer aus. Doch das sollte sich schlagartig ändern obwohl sich wieder einmal bewahrheitete, dass die oder der gemeine Dessauer:in erst kurz vor knapp kommt. Wer dann alles in die Zerbster Straße strömt ist bemerkenswert: Viele Familien mit Kindern aber auch die (mittelalterliche) Generation, Kommunalpolitiker:innen und Mitglieder von Kirchengemeinden, alternative Jugendliche, Gewerbetreibende, Lehrer:innen und, und, und… . Sie alle einigt der ideelle Überschuss, wieder, erstmals oder immer noch klare Botschaften für Demokratie und Vielfalt – und im heute so wichtigen Umkehrschluss – gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und autoritäre Umsturzfantasien zu setzen. Und der Kreativität waren dabei keine Grenzen gesetzt. Mit viel Liebe zum Detail wurden da Kinderwagen mit bunten Lichterketten verziert oder sich als menschliche Illumination gleich ganz in den Regenbogenfarben behängt. Auch die Textbotschaften zeugten davon, dass sich die Leute vorbereitet hatten. Neben der fast schon klassischen Forderung nach einem „AfD-Verbot jetzt!“, fanden sich allerlei gewitzte Wortspiele auf der Demo. Eine kleine Auswahl gefällig: „Liebevoll statt hasserfüllt“, „Nie wieder muss garantiert sein!“, “Mitlaufen ist keine Sportart“ oder „Keinen Millimeter nach rechts, sonst landen wie im rechten Winkel“.

Bei so viel Inspiration hat Daniel Kutsche als Moderator vom veranstaltenden Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE leichtes Spiel und spricht zu Beginn einen Umstand und zugleich ein Dilemma an, das wohl fast allen mehr als bekannt ist: „Ich hatte mir um des lieben Frieden willens angewöhnt, bei rechten oder alltagsrassistischen Äußerungen auf der Familienfeier, in der Facebook-Timeline oder im Supermarkt wegzuhören. Aber damit ist jetzt endgültig Schluss!“. Der tobende Applaus der 1.000 Menschen spricht für sich.

Auch Eiko Adamek, seines Zeichens Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion, ist die Zivilcourage wichtig: „Wehret den Anfängen!“. In seinem Verständnis von Demokratie ist vor allem der Artikel 1 des Grundgesetzes handlungsleitend: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Für ihn steht fest: „Deshalb ist es für mich inakzeptabel, dass politische Gruppen behaupten, sie wären das Land und das Volk. Wir alle sind das Land.“ Das Applausometer schnellt nach oben.

„Ich weiß nicht wann das letzte Mal so viele Menschen bei einer politischen Kundgebung auf dem Dessauer Marktplatz waren“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) und bedankt sich zugleich beim Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE für das Engagement. In ihrem Statement spannt sie einen geschichtlich-demokratischen Bogen über Epochen hinweg. Als junge Frau habe sie die große Wendedemonstration, mithin die friedliche Revolution, eben auf diesem Marktplatz miterlebt. „So ist das mit progressiven Ideen, die sind manchmal eine Zumutung“, ordnete die Politikerin weiter ein und spiel damit sowohl auf die Ansiedlung des Bauhauses in der Stadt 1925 als auch auf den Umstand an, dass der damalige Gartendirektor Hans Hallervorden in einem Akt von Zivilcourage am 10. November 1938 das Anzünden der Synagoge im Wörlitzer Park durch die Nazis verhinderte. Für Steffi Lemke ist es deshalb ein wichtiges Signal, dass mit der Einweihung der Weill-Synagoge am 22. Oktober 2023 eine klare Positionierung einhergehe: „Jüdisches Leben erhält damit in der Mitte der Stadtgesellschaft einen wichtigen Platz, es gehört zu Dessau-Roßlau.“ Zum Abschluss hat sie mit explizitem Verweis auf das von Daniel Kutsche bereits angesprochene „Weihnachtsessenszenario in der Familie“ noch ein zentrales Meinungsbild im rhetorischen Repertoire: „Ich bitte Sie die Gefahren die vom Rechtsextremismus ausgehen nicht zu unterschätzen.“ Der Applaus ist anhaltend.

„Das ist ein ermutigender Abend wenn die Menschen hier sagen, bis hierher und nicht weiter. Stopp.“, gibt der SPD-Landtagsabgeordnete Holger Hövelmann zu Protokoll. Der ehemalige Innenminister von Sachsen-Anhalt weiß wovon er spricht, hat er den Kampf gegen Rechts doch damals in Rahmen seiner Möglichkeiten zur Priorität erklärt. Historisch thematisiert er die Wahlerfolge der NSDAP in den 1930iger Jahren in Anhalt, respektive in Dessau. „Ich werde mit Kollegen aus den anderen Fraktionen im Landtag dafür sorgen, dass er das in wenigen Wochen nicht mehr ist.“ Dabei stellt er auf die Initiative im Landtag ab, den bisherigen Vorsitzenden des Sozialausschusses, Ulrich Siegmund von der AfD, aus diesem politischen Amt abzuwählen. Siegmund war neben dem AfD-Fraktionsgeschäftsführer (LSA) Patrick Harr aus Roßlau nachweislich bei dem inkriminierten, informellen Strategietreffen in Potsdam dabei. Ob dieser Ankündigung mit Konsequenzgehalt klatschen alle – bis in die letzten Reihen.

Janina Böttger hat als Co-Vorsitzende der Partei Die Linke in Sachsen-Anhalt ein deutliches Statement im Gepäck: „Es geht um die Normalisierung des eigentlich Unsagbaren, dass dürfen wir nicht zulassen.“ Auch sie spannt einen Bogen zur Gedenkkultur im Zusammenhang mit dem historischen Nationalsozialismus und meint damit die jährlich am 09. November stattfindende Veranstaltung „Lieder gegen das Vergessen“ in der Dessauer Marienkirche, die immer wieder an NS-Opfer vor der Haustür erinnert. Janine Böttger in Anlehnung an den Schwur von Buchenwald auf den Punkt: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder ist jetzt.“ Die zustimmenden Interjektionen hallen über den Marktplatz.

„Jetzt ist es Zeit, dass die Leute die eigentlich nicht zu einer Demonstration gehen sich engagieren und laut sagen, bis hierher und nicht weiter“, sagt die stellvertretende Kreisvorsitzende der FDP Dessau-Roßlau Katja Raab. Damit meint sie sich offensichtlich auch selbst und gibt unumwunden zu: „Ich hätte eigentlich heute noch auf Arbeit sein sollen, dass war eine sehr spontane Entscheidung.“ Offenbar genauso spontan wie ihre Teilnahme an der Demo gegen Rechts am vergangenen Samstag mit 16.000 Menschen in Halle (Saale), ihrem ehemaligen Wohnort und aktuellem Arbeitsort. Für Katja Raab ist es völlig unverständlich wie angesichts von demographischem Wandel, Leerstand und sinkenden Schüler:innenzahlen – auch und gerade in der Region – Leute von der Ausweisung von Menschen mit Migrationsbiographie sprechen könnten: „Sie sind Teil dieser Gesellschaft, wir brauchen sie und es grenzt nahezu an gesellschaftlichen Selbstmord sowas zu fordern.“ Unter Beifall stellt sie genauso lapidar wie zutreffend fest: „Die Mitte der Gesellschaft ist die Mehrheit.“

Und während die nur hundert Meter entfernte Dessauer Friedensglocke dreimal ohrenbetäubend schlägt, wird inbrünstig aus allen Kehlen „Imagine“ von John Lennon intoniert. Daniel Kutsche bleibt es vorbehalten die Botschaften zusammenzufassen und einen Ausblick zu geben der hoffentlich Realität wird: „Gegen Rassismus, gegen die AfD und für ein tolerantes Dessau-Roßlau. Das können wir jetzt gerne jeden Monat an dieser Stelle wiederholen.“

Ein abschließender Werbeblock für das Netzwerk GELEBTE DEMOKRATIE durfte indes nicht fehlen, dass trifft sich regelmäßig im „mitmach.Lokal“ in der Kavalierstraße 37-39, Verstärkung erwünscht.