Stellungnahme des Bundesverbands Mobile Beratung vom 22.03.2022
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) haben kürzlich ein Diskussionspapier zum geplanten Demokratiefördergesetz vorgelegt – und mehr als 200 Verbände, Fachorganisationen und Wissenschaftler*innen um eine Stellungnahme gebeten. Auch der Bundesverband Mobile Beratung (BMB) wurde angefragt und hat eine Stellungnahme verfasst. Sie ist hier als PDF verlinkt und nachfolgend im Wortlaut zu lesen.
Der Bundesverband Mobile Beratung (BMB), Dachverband der Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in ganz Deutschland, die sich gemeinsamen Grundsätzen verpflichtet haben, begrüßt das Tempo, mit dem die Ministerinnen Anne Spiegel und Nancy Faeser das gemeinsame Vorhaben eines „Demokratiefördergesetzes“ vorantreiben. Damit steht vor der Realisierung, was viele zivilgesellschaftliche Träger seit Jahren fordern – vor allem die drei zentralen Beratungsstrukturen der Opfer-, Ausstiegs- und Mobilen Beratung. Kern der seit über zehn Jahren geführten Debatte ist dabei stets, die als Projekte geförderten Strukturen abzusichern. Schon der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages forderte 2013 fraktionsübergreifend „die Verstetigung der Förderung für die Mobile Beratung und die Opferberatung“ auf „bundesgesetzlicher Basis“. Dazu hatten Mobile Beratungsteams im gleichen Jahr mit Partner*innen bereits ein Gutachten zu den rechtlichen Möglichkeiten einer Verstetigung in Auftrag gegeben. Jetzt ist die Chance, diese Absicherung endlich umzusetzen. Gerne nimmt der BMB nach Rücksprache mit den 50 Mobilen Beratungsteams bundesweit Stellung zum vorliegenden Diskussionspapier.
Was wir begrüßen
Uneingeschränkt zu begrüßen ist, dass die Ministerinnen konkrete Ungleichwertigkeitsvorstellungen nennen und damit Problem- und Handlungsfelder mit ihren gesellschaftlichen Dimensionen anerkennen, die über einen sicherheitsbehördlichen Extremismusbegriff hinausgehen. Ebenso befürwortet der BMB die Einordnung der Bekämpfung von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit als „gesamtgesellschaftliche und dauerhafte Aufgabe“ und das Ziel, „gute Rahmenbedingungen“ für zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern.
Der BMB unterstützt zudem die Engführung eines Demokratiefördergesetzes auf Demokratieförderung, Extremismusprävention und Vielfaltgestaltung. Zwar bilden auch Bereiche wie das große Feld der politischen Bildung, die Arbeit von Stiftungen und Wohlfahrtsverbänden oder die Engagementförderung wichtige Pfeiler einer lebendigen Demokratie. Im Demokratiefördergesetz sieht der BMB aber vornehmlich die Chance, bestehende Beratungsstrukturen abzusichern und Reaktionen auf dynamische Entwicklungen zu ermöglichen.
Was wir zu bedenken geben
Der BMB sieht im Eckpunktepapier aber auch eine Reihe von Kritikpunkten und Fallstricken. Wir formulieren daher folgende Vorschläge und Empfehlungen für Regelungsinhalte des Gesetzes:
1. Das Gesetz muss eine strukturelle Förderung sicherstellen
Aktuell beschreibt das Papier einen Rahmen, mit dem eine gesetzliche Basis für die bestehenden und mögliche neue („Rechtsextremismus im Sport“) Bundesprogramme geschaffen wird. Der im Papier benannte „Zuwachs an Planungssicherheit für […] die Zivilgesellschaft“ (S. 3) bleibt jedoch abstrakt, da bisher keine konkreten Schritte hin zu einer strukturellen und längerfristigen Förderung benannt werden. Damit kann das von Ministerin Faeser als „Kernstück“ eines Gesetzes bezeichnete Ziel, dass die zivilgesellschaftlichen Träger „verstätigt arbeiten können und nicht immer darauf angewiesen sind, nur in dieser Projektarbeit zu verharren“ (DLF-Interview), nicht erreicht werden. Wir empfehlen daher, konkrete Förderbereiche im Gesetz inhaltlich-thematisch zu benennen, um eine strukturelle Absicherung zentraler Säulen sicherzustellen – unabhängig von politischen Konjunkturen und Legislaturperioden. Damit würden „Leitplanken“ für die inhaltliche Ausgestaltung schon im Gesetz festgelegt.
Die drei zentralen Beratungsstrukturen, die Opfer-, Ausstiegs- und Mobile Beratung, werden seit 20 Jahren lediglich als Projekte gefördert – mit der im Papier unscharf bleibenden Benennung von Gegenständen und Förderbereichen droht dieser Status erhalten zu bleiben. Für den Förderbereich „Demokratiestärkung“ sollten daher im Gesetz insbesondere folgende Fördergegenstände nach Subsidiaritätsprinzip in freier Trägerschaft benannt werden:
- die Beratung und Begleitung von zivilgesellschaftlich Engagierten und kommunal Verantwortlichen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen (Mobile Beratung)
- die Beratung und Begleitung von Opfern/Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (Opfer-/Betroffenenberatung) und
- die Beratung und Begleitung von Personen, die aus extrem rechten Zusammenhängen aussteigen oder sich distanzieren wollen (Ausstiegs-/Distanzierungsberatung)
Durch eine solche zweckgebundene Förderung könnten auch die regional verorteten, etablierten Träger der Beratungsarbeit und ihre bundesweiten Dachverbände mittelbar abgesichert werden. Eine Förderung der Dachverbände ist unverzichtbar, weil sie den fachlichen Austausch der Beratungsstellen sicherstellen – und damit zur Professionalisierung der Beratungsarbeit beitragen.
2. Das Gesetz muss die zentralen Beratungsstrukturen und ihre Dachverbände benennen
Der BMB ist irritiert, dass im Diskussionspapier in der Aufzählung auf S. 4 zwar die Unterstützung und Beratung von Opfern sowie Ausstiegswilligen benannt ist, die Unterstützung und Beratung der Zivilgesellschaft – die vor allem durch die Mobilen Beratungsteams geleistet wird – aber nicht gewürdigt wird. Damit bleiben diejenigen auf der Strecke, die in der Einleitung des Papiers als Partnerin der Bundesregierung benannt sind: die „lebendige, demokratische Zivilgesellschaft“ und die „Menschen, die […] sich in zahlreichen Initiativen, Vereinen und Organisationen für ein vielfältiges und gewaltfreies Miteinander einsetzen“. Hier muss dringend nachgebessert werden: Die Mobile Beratung muss explizit benannt sein.
Des Weiteren stellt das Papier die „Schaffung überregionaler Strukturen“ in Aussicht, um die Unterstützung und Beratung mit Fokus auf Netzwerkbildung, Begleitung oder Austausch sicherzustellen. Den Aufbau dieser Strukturen fördert das BMFSFJ aber über das Programm „Demokratie leben!“ bereits seit 2015: Der BMB, der VBRG und die BAG AzE als Dachverbände der Beratungsstrukturen stellen genau diese fachliche Begleitung der Beratungsarbeit sicher – aktuell im Rahmen von Begleit- bzw. Modellprojekten. Diese professionelle Begleitung muss also nicht geschaffen, sondern strukturell abgesichert und im Gesetz benannt werden.
3. Das Gesetz muss Kriterien für eine angemessene Förderung formulieren
Das im Papier genannte Ziel einer „angemessenen Förderung“ nach Maßgabe der jeweiligen Haushaltsgesetze kann nur dann zu einem „klaren Bekenntnis“ (S. 5) werden, wenn das Gesetz möglichst konkrete Kriterien für die Adäquanz formuliert – bestenfalls in Verbindung mit einer Mindestsumme. Dabei muss selbstverständlich die Hoheit von Parlament und Haushaltsgesetzgebung gewahrt bleiben. Solche Kriterien sollten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Damit kann die aktuell abstrakte „Angemessenheit“ über eine Mindestsumme hinaus operationalisiert und mit den Förderbereichen verknüpft werden. Aus Sicht des BMB sollten insbesondere folgende Kriterien berücksichtig werden:
- Absicherung der Beratungsstrukturen auf Basis von mit den Mittelempfänger*innen erarbeiteten Qualitätsstandards in den jeweiligen Arbeitsbereichen im Sinne einer Personalstellenförderung
- Ermöglichung einer überjährigen und mittelfristigen Finanzplanung auch für die geförderten Träger (Planungssicherheit)
- Berücksichtigung der Sicherheit von Trägern und Mitarbeitenden
- Dynamisierung der Mittel, damit Kostensteigerungen nicht durch Kürzungen der Beratungsstunden aufgefangen werden müssen
4. Das Gesetz muss ein transparentes Verfahren für die Förderrichtlinien festlegen
Aktuell wird ein Rahmengesetz beschrieben, das die in den Ministerien etablierten Programme vom Kinder- und Jugendplan des Bundes löst (bedarfsorientiert, längerfristig und altersunabhängig). Damit werden zentrale Weichenstellungen aber in die Förderrichtlinien verschoben bzw. sind gesetzlich ohnehin nicht zu regeln. Die Förderrichtlinien werden bisher aber allein von der Verwaltung erstellt. Eine Beteiligung der Zivilgesellschaft bzw. der geförderten Strukturen ist auf dieser Ebene bisher nicht möglich oder vorgesehen, aus Sicht des BMB aber dringend erforderlich.
Ein Demokratiefördergesetz sollte daher vorsehen, dass zivilgesellschaftliche Träger an der Erstellung von Förderrichtlinien beteiligt werden, und hierfür mehrere Verfahren formulieren: für die Beteiligung per Stellungnahme, auf die die Verwaltung reagieren muss, für Verbändeanhörungen sowie für Schlichtungsverfahren, sollte es zu Konflikten kommen. Damit können die Ministerien sicherstellen, dass die Förderung tatsächlich „bedarfsorientiert“ und „längerfristig“ (S. 5) ist – und nicht wie bisher abhängig von Legislaturperioden und politischen Konjunkturen.
5. Die Expertise der Zivilgesellschaft muss eingebunden werden – in allen Phasen
Im Diskussionspapier von BMI und BMFSFJ wird die Bedeutung der Zivilgesellschaft vor allem in der Einleitung hervorgehoben. Offen bleibt, ob und wie die Zivilgesellschaft in die Erarbeitung und Umsetzung des Gesetzes eingebunden werden soll. Dabei kann die Bundesregierung von der Expertise und Erfahrung der Zivilgesellschaft profitieren. Die Mobilen Beratungsteams etwa analysieren seit 20 Jahren Entwicklungen in der rechtsextremen Szene, sind über aktuelle Herausforderungen bundesweit im Bilde – sei es in der Stadt, auf dem Land oder in der Kommune – und fungieren so als Seismograph für rechte Bedrohungen. Zudem sollte sich das Vorhaben der Stärkung demokratischer Abläufe und Institutionen auch in der praktischen Ausgestaltung des Gesetzes niederschlagen.
Aktuell ist die Abstimmung über „Schwerpunkte, Ziele und Qualitätsstandards“ der Förderung lediglich einem institutionalisierten Bund-Länder-Austausch vorbehalten. Hier muss dringend nachgebessert werden: Auch die Gesprächskanäle zur Zivilgesellschaft müssen institutionalisiert werden. Das kann etwa über ein im Gesetz vorgeschriebenes Gremium geschehen, das die Umsetzung begleitet und v.a. mit den geförderten Trägern besetzt ist.
Die Stimmen von Rassismus-betroffenen und migrantisierten Menschen müssen bei der Erarbeitung und Umsetzung des Gesetzes viel stärker einbezogen werden. Denn sie sind Teil der Zivilgesellschaft, ihre Perspektiven sind notwendige und wertvolle Ressource sowie Bezugspunkt für Stärkung und Unterstützung.
6. Die Regelungen zur Überprüfung und zur Gemeinnützigkeit müssen angepasst werden
Der BMB ist weiterhin der Auffassung, dass die Überprüfung von Projektträgern und Mitarbeitenden durch Verfassungsschutzbehörden sowie exklusiv den im Themenfeld arbeitenden Projekten auferlegte „Bekenntnisklauseln“ im Sinne eines Generalverdachts nicht dem im Diskussionspapier geschilderten Verständnis von Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft entsprechen. Wir begrüßen daher, dass keine entsprechenden Klauseln o.ä. benannt sind. Allerdings muss der Passus zur „persönlichen und finanziellen Zuverlässigkeit“ dahingehend konkretisiert werden, dass hier weder (a) kleinere oder neue Träger ohne eigene Mittel von einer Förderung ausgeschlossen werden noch (b) eine wie auch immer geartete intransparente Überprüfung jenseits von Antrags- und Bewilligungsverfahren nach klaren Vorgaben etabliert wird. Die Autonomie der geförderten Träger als Grundrechtsträger muss trotz staatlicher Förderung durch das Gesetz abgesichert werden, insbesondere hinsichtlich der Meinungsfreiheit und der Eignung des Personals.
Wenn die freien Träger im Rahmen des Demokratiefördergesetzes auf neuer bundesgesetzlicher Basis gefördert werden, braucht es zudem eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Denn Trägern, die sich regelmäßig politisch äußern, droht noch immer der Entzug der Gemeinnützigkeit.
7. Die Rolle der wissenschaftlichen Begleitung und Forschung muss konkretisiert werden
Der BMB begrüßt, dass die geförderten Maßnahmen weiterhin wissenschaftlich begleitet werden sollen. Neben den Interessen der Mittelgeber muss hier aber künftig auch ein Erkenntnisgewinn für die Weiterentwicklung der Arbeitsfelder im Mittelpunkt stehen. Zudem muss gesetzlich festgeschrieben werden, dass die geförderten Träger an der Erarbeitung von Frage- und Zielstellungen der Evaluation beteiligt werden. Darüber hinaus braucht die Beratungs- und Bildungsarbeit eine unterstützende empirische Forschung bzw. ein nicht-staatliches Monitoring zu rassistischen, extrem rechten u.ä. Vorkommnissen unterhalb der Schwelle strafbewehrter Taten, wie es im Bereich antisemitischer Vorfälle bereits aufgebaut wird.
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