Rechte Angriffe und Delikte in der Region rückläufig // Neonaziszene weiterhin handlungs- und kampagnenfähig
Nach dem zum Teil exorbitanten Aufwüchsen in den Jahren 2015 und 2016, die vor allem mit rassistischen Gewalttaten und Mobilisierungen zum Thema Flucht und Asyl im Zusammenhang standen, sind rechte Delikte und Angriffen im Jahr 2017 in der Region Anhalt zurückgegangen. Wenn gleich sie sich im 7-Jahresvergleich immer noch auf einem hohen Niveau bewegen. Von einer Entwarnung kann demnach nicht gesprochen werden. Die Opferberatungsstelle (OBS) registrierte im Berichtzeitraum (Gesamtahr 2017) insgesamt 30 Straf- und Gewalttaten mit einer rechtsextremen Motivation. Im Vergleich zum Vorjahr (2016: 45 Meldungen) sind dies demnach ein Drittel weniger.Die vom Mobilen Beratungsteam (Projekt GegenPart) in einer Chronik festgehaltenen rechtsextremen Ereignislagen im Gesamtjahr 2017 unterstreichen diesen Trend. Hier sind insgesamt 380 Einträge zu verzeichnen, was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (2016: 504 Einträge) einem Rückgang von 29,6 % entspricht. Überdies bilanziert das Projekt GegenPart, dass in der Region organisierte Neonazis und Rechtsextremisten weiterhin handlungs- und kampagnenfähig sind.
Angriffsstatistik der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalttaten Anhalt/ Bitterfeld/ Wittenberg für das Jahr 2017
Im Jahr 2017 hat das Opferberatungsprojekt für die Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 30 rechte Angriffe registriert. Gegenüber dem Jahr 2016 ist dies ein Rückgang von rund 35 Prozent. Damals wurden 45 Delikte registriert. Hauptopfergruppe sind mit 66 Prozent von Rassismus Betroffene (20 Angriffe). Rund 80 Prozent sind Körperverletzungsdelikte (25 Angriffe).
Grafik: OBS Anh./BTF/WB Gesamtjahr 2017
Grafik: OBS Anh./BTF/WB Gesamtjahr 2017
Chronik des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus
In der Chronik konnten im Gesamtjahr 2017 insgesamt 380 rechte und neonazistische Ereignislagen für Anhalt festgestellt werden, was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (2016: 504 Einträge) einem Rückgang um 29,6 % entspricht. Wenn gleich sie sich im 7-Jahresvergleich immer noch auf einem hohen Niveau bewegen. Von einer Entwarnung kann demnach nicht gesprochen werden.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Von den 380 Meldungen konnten demnach 34,2 % (130 Meldungen) dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld zugerechnet werden, dicht gefolgt von der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau (126 Meldungen, entspricht 33,1 %) und dem Landkreis Wittenberg (124 Meldungen, entspricht 32,7 %) Damit ist eine relativ gleiche Verteilung in den drei Gebietskörperschaften zu konstatieren. In den Jahren zuvor führte zumeist Dessau-Roßlau dieses Ranking an.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Ursächlich für diesen Rückgang sind vor allem die Bereiche Propagandadelikte/ Volksverhetzung/ Sachbeschädigung sowie eine rückläufige Zahl von Demonstrationen und Kundgebungen. Die rechten und rassistischen Gewalttaten/ Anschläge/ Raubdelikte haben sich in 2017 auf 24 Fälle (Anhalt-Bitterfeld: 13, Dessau-Roßlau: 2, Wittenberg: 9) verringert, was einem Rückgang um 57 % entspricht (2016: 56); besonders signifikant ist hier der Rückgang in Dessau-Roßlau (von 24 Delikten in 2016 auf 2 Treffer in 2017). In diesem Zuge sind auch die Meldungen wegen Beleidigung/ Bedrohung/ Nötigung und Verleumdung von 61 auf 30 gesunken (Anhalt-Bitterfeld: 7, Dessau-Roßlau: 12, Wittenberg: 11) und haben sich ungefähr halbiert. Rechte und neonazistische Propagandadelikte sind von 272 (2017) auf 270 Vorfälle (Anhalt-Bitterfeld: 96, Dessau-Roßlau: 90, Wittenberg: 84) minimal gesunken und bewegen sich somit auf einem gleichbleibend hohem Niveau. Mit 33 Treffern weist die Bilanz ebenso eine rückläufige Entwicklung von rechten und rassistischen Aufmärschen / Kundgebungen (Anhalt-Bitterfeld: 12, Dessau-Roßlau: 10, Wittenberg: 11) auf, die im Vergleich zum Jahr 2016 (insgesamt 64 Einträge) ebenso fast einer Halbierung gleichkommen.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Die von der Landesregierung gemeldeten rechtsmotivierten Sachschäden sind im Gesamtjahr 2017 auf € 10.180,00 signifikant zurückgegangen (2016: € 18.635,00).
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Beratungsbilanz des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus
Das MBT Anhalt hat im Berichtszeitraum 2017 (Gesamtjahr) insgesamt 60 Beratungsfälle prozesshaft begleitet. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Rückgang um ca. 12% (Gesamtjahr 2016: 68 Beratungsprozesse). Unterm Strich sind die Beratungsleistungen, ausgehend von einem hohen quantitativen Niveau, genauso gefragt wir im Vorjahr. Zum Vergleich: im Gesamtjahr 2014 begleitete das MBT nicht einmal 30 Fälle.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Den Schwerpunkt der Beratungsanlässe bildeten in den letzten 12 Monaten mit 17 Treffern eindeutig das Segment Angstzonen/ Bedrohungsszenarien. Dieser Trend, der sich auch schon in den letzten drei Jahren abzeichnete, ist insbesondere damit zu erklären, dass sich hiesige Akteur_innen aus Demokratieinitiativen und Bürger_innenbündnissen zusehends Einschüchterungsversuchen der extrem rechten Szene ausgesetzt sehen.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Wie bereits in den vergangenen Jahren, waren demnach die meisten Beratungsprozesse (mit 34 Treffern, entspricht 56% am Gesamtaufkommen) in Dessau-Roßlau verortet. Der Abstand zum Landkreis Anhalt-Bitterfeld (19 Fälle) ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (27 Fälle in 2016) deutlich größer geworden. Zum wiederholten Male waren im Landkreis Wittenberg (7 Treffer) die wenigsten Prozesse zu verzeichnen.
Quelle/Graphik: Projekt GegenPart
Die Auswertung der Beratungsprozesse zeigt, dass das MBT Anhalt im abgelaufenen Berichtszeitraum insgesamt 31 Bürger_innenbündnisse/ Initiativen in ganz unterschiedlichen Settings beraten hat. Trotz eines Rückgangs um gut ein Drittel (Gesamtjahr 2016: 45 Treffer), korreliert diese Entwicklung stark mit der beschriebenen Analyse, dass insbesondere Menschen die sich für Geflüchtete oder gegen Rechtsextremismus engagieren, eine intensive Begleitung in Anspruch nahmen. Sind es doch in der Regel zivilgesellschaftliche Netzwerke und Bündnisse, die oftmals zusammen mit der Verwaltung (23 Treffer) und kommunalpolitischen Akteur_innen (16), Träger des demokratischen Protestes gegen Neonaziaufmärsche oder rechtsextreme Infostände sind.
Ein quantitativer Aufwuchs konnte mit 10 Treffern erneut bei Beratungsleistungen im Bereich Wirtschaftsunternehmen/ Kultureinrichtungen/ Medien (2016: 6) festgestellt werden. Das ist vor allem damit zu erklären, dass verstärkt Medienvertreter_innen die Fachexpertise und das Hintergrundwissen des Beratungsteams nachfragen.
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Rechtsextreme Personenzusammenschlüsse/ Neonazikameradschaften
Wie im Vorjahr traten gleich mehrere neonazistische Personenzusammenschlüsse öffentlich in Erscheinung:
„Freie Nationalisten Dessau/ Anhalt“
„Europäische Aktion Sachsen-Anhalt“
„Jungsturm Dessau“
„Nationaler Widerstand Köthen/ Anhalt“
„NS Gräfenhainichen - GHC Crew“
Das „Aktionsspektrum“ reicht dabei von Propagandadelikten über Demonstrationen und Kundgebungen bis hin zu Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt. Zudem sind die Gruppierungen überregional gut vernetzt, sowohl zum „Freien Spektrum“ als auch zu extrem rechten Parteien (NPD, DIE RECHTE).
Einzelne Strukturen weisen daher auf personeller Ebene große Überschneidungen auf, klare Zuordnungen zu einer einzigen Gruppierung sind eher schwierig. Mit dieser Strategie soll nach Außen – aber auch nach Innen in die Szene hinein – tatsächliche oder vermeintliche Handlungsfähigkeit signalisiert werden. Die Anzahl dieser Gruppierungen hat im Berichtszeitraum leicht abgenommen, die Personenzahl der Szene bleibt aber konstant.
„Freie Nationalisten Dessau – Anhalt“
Unter dem Label „Freie Nationalisten Dessau-Anhalt“ haben sich vor allem Neonazis aus Dessau-Roßlau und Umgebung informell und aktionsorientiert vernetzt. Darunter so bekannte Akteure der neonazistischen Szene wie Alexander Weinert, Siegmar Z. und Ringo T.. Die Präsenz im öffentlichen Raum zeigt sich vor allem über den sogenannten „Trauermarsch“ am 11. März 2017 in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...). Zudem führte diese Neonzazikameradschaft gleich 3 Kundgebungen mit einem positiven Bezug zum historischen Nationalsozialismus, u. a. im Kontext des Holocaustleugners Horst Mahler und des Hitlerstellvertretes Rudolf Heß, durch (mehr dazu hier...) und (hier...) und (hier...).
„Freie Nationalisten“ zum „Trauermarsch“ am 11.03.2017 in Dessau, Bildmitte mit erhobener Faust: Alexander Weinert; Foto: St. Heide
„Europäische Aktion“
Ebenso in Erscheinung trat die „Europäische Aktion Sachsen-Anhalt“. Diese gründete im Februar 2015 einen Stützpunkt Dessau-Roßlau, von Dessau aus wurde die landesweite Organisation aufgebaut. Sie ist eine neonazistische Organisation die versucht, verschiedene Ideologieelemente der extremen Rechten wie Antisemitismus, Antiamerikanismus, (völkischer) Rassismus, Geschichtsrevisionismus, Holocaustleugnung und Verschwörungstheorien zu bedienen. Ihr Versuch ein europaweites Netzwerk von Holocaustleugnern aufzubauen, muss in diese Gesamtstrategie eingeordnet werden. Sie fällt indes durch Kontakte und personelle Überschneidungen zum freien Spektrum und der Partei „DIE RECHTE“ auf.
Darunter sind bekannte Akteure der neonazistischen Szene wie Alexander Weinert, Christian W. (beide aus Dessau-Roßlau) und Phillip S. (aus Köthen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld).
Die Präsenz der "Europäischen Aktion" im öffentlichen Raum zeigt sich vor allem über Propagandaaktionen, die Teilnahme an Demonstrationen und dem Veranstalten von Rechtsrock-Konzerten. So sind eine Flyerverteilaktion in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...) und ein Heldengedenken in Großpaschleben (mehr dazu hier...) für 2017 dokumentiert.
Inzwischen hat sich laut Landesregierung die "Europäische Aktion", mutmaßlich aufgrund von Druck der Ermittlungsbehörden, am 10.06.2017 „aufgelöst“.
Foto vom Sachen-Anhalt-Tag 30./31. Mai 2015 in Köthen
„NS Gräfenhainichen - GHC Crew“
In Gräfenhainichen hat sich mit der "NS Crew GHC" ein handlungsfähiger, extrem rechter Personenzusammenschluss etabliert. Mit zum Teil öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie zuletzt der Verhüllung der Holzskulptur des Dichters Paul Gerhardt im April 2017 (mehr dazu hier...), versucht die Gruppierung an rassistische und muslimfeindliche Diskurse anzuknüpfen und sich somit als "Kümmerer" zu inszenieren.
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Neonazistische Subkultur und Rechtsrock
Die Bedeutung loser Zusammenschlüsse und jungendkulturell geprägter rechtsextrem eingestellter Gruppen und Cliquen ist sehr hoch. Ein lokaler Schwerpunkt dieser Szeneverfasstheit war einmal mehr der Landkreis Wittenberg. Kleidung und Lifestyle sind für die Identifikation mit der Szene entscheidend, gerade wenn es darum geht, junge Menschen für rechtsextreme Politikangebote zu interessieren. Exponierter Vertreter dieses subkulturellen Bereiches ist der rechtsextreme Konzertveranstalter Henry B. aus Wittenberg, der von der Lutherstadt aus seit Anfang 2012 die neonazistischen Versandseiten „Heimdall“ betreibt.
Als Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten treten seit Herbst 2015 vor allem Alexander Weinert (Roßlau) und Marcel Swolana (Coswig) in Erscheinung (mehr dazu hier...) und (hier...).
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Die neonazistische NPD
Kreisverband Wittenberg
Der Kreisverband der extrem rechten Partei tritt regelmäßig mit Infoständen in der Wittenberger Innenstadt und mit sogenannten Heldengedenken zum Volkstrauertag in Erscheinung (mehr dazu hier...) und (hier...). Thomas Lindemann aus Wittenberg trat zuletzt für die NPD als Stadtratskandidat in Leipzig an. Der Aktivist pflegt enge Kontakte ins militante Neonazispektrum und nimmt regelmäßig an Nazidemonstrationen teil.
Torsten Escherich sitzt für die Partei im Kreistag, außerdem erreichte mit Danilo Wessel ein NPD-Kandidat ein Mandat im Stadtrat Wittenberg.
Als Ordner bei der rassistischen Demonstration am 21. Oktober 2017 in Wittenberg: Thomas Lindemann (NPD Wittenberg);
Foto: ELBEinfotainment
Torsten Escherch (mit gelber Ordner-Weste) am 21.10. in Wittenberg;Foto: ELBEinfotainment
Kreisverband Anhalt-Bitterfeld
Im April 2011 gründete die neonazistische NPD für den Landkreis Anhalt-Bitterfeld einen Kreisverband. Für die rechtsextreme Partei sitzt Andreas Köhler aus Priorau im Kreistag. Er verfügt über enge informelle Kontakte zur militanten Kameradschaftsszene. Der Rechtsextremist Swen Behrendt veröffentlicht auf der Homepage des Kreisverbandes regelmäßig rassistische und populistische Beiträge.
Andreas Köhler (ganz rechts) am 08.10.2016 in Roßlau;
Foto: Mario Bialek
NPD-Autor Swen Behrendt (vorn rechts mit Brille) am 11.03.2017 in Dessau;
Foto: St. Heide
Kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau
In der Stadt kooperieren Anhänger der freien Kameradschaften offen mit NPD-Aktivisten. Alexander Weinert, ein landesweit bekannter Neonaziaktivist, organisiert zusammen mit dem Dessauer NPD-Stadtrat Thomas Grey Kundgebungen und Demonstrationen. Beide sind in der Baubranche tätig. Thomas Grey, ehemaliger stellvertretender Landesvorsitzender der NPD, tritt indes immer wieder als Redner auf neonazistischen Veranstaltungen auf.
Der 27-jährige Marcel Kerner, der in seiner Freizeit als Spielertrainer bei einer Dessauer Handballmannschaft aktiv ist, sitzt für die NPD im Ortschaftsrat.
Alexander Weinert (li.) und Marcel Kerner am 03.09.3016 in Roßlau; Störung des „Rock für Toleranz“
Der Dessauer NPD-Stadtrat Thomas Grey beim „Trauermarsch“ am 19.03.2016 in Dessau; Foto: Mario Bialek
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Verschwörungsideologien und "Reichsbürger"
Die Ideologie der gemeinhin als "Reichsbürger"-Bewegung bezeichneten Szene zeichnet sich zunächst durch ein geschlossenes Weltbild der Akteure aus. Die Palette reicht dabei von Verschwörungsideologien, über Esoterik, einem skurillem "Selbstverwalteransatz" bis hin zum „Regierungsspielchen“. Auch wenn die Bewegung sehr heterogen ist, sind oftmals in unterschiedlichen Ausprägungen antisemitische, rassistischen und/ oder nationalistische Versatzstücke erkennbar, die mit antidemokratischen, extrem rechten und menschenfeindlichen Einstellungsmustern einhergehen. Aber auch Verschwörungsideologien im Sinne von „die da oben/ wir hier unten“, „Lügenpresse“ oder „Umvolkung“ werden in diesem Kontext transportiert und zeigen dabei durchaus Schnittmengen zur neonazistischer Szene, zur Reichsideologie, der Neuen Rechte und Teilen der völkisch-nationalistischen AfD.
E-Mails mit antisemitischen Schmähpassagen, positiven Bezügen zum historischen Nationalsozialismus und Verweisen auf das antisemitische Machwerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ werden in der Region Anhalt immer wieder festgestellt. Über einhundert Adressat_innen aus Justiz, Politik und Medien in Dessau-Roßlau, Sachsen-Anhalt und auch bundesweit haben per Mail oder Fax im Januar 2017 so ein zehnseitiges Pamphlet vom selbsternannten „H. M. König Marduk I“ bekommen. Der Reichsbürger, der mit bürgerlichem Namen Günther-W. B. heißt und aus Tübingen kommt, behauptet in seinem wirren Konvolut, das Land Sachsen-Anhalt existiere nicht, zudem spricht er der hiesigen Judikative und Exekutive sämtliche Legitimität ab (mehr dazu hier...). Der einschlägig bekannte und verurteilte Holocaustleugner Horst Mahler versandte nur einige Tage später ein wirres, antisemitisches Konvolut mit der Betreffzeile „Die Wahrheit des Talmud - oder das Untermenschentum der Judenheit“ an eine in Dessau-Roßlau ansässige Migrantenselbstorganisation (mehr dazu hier...). Im September 2017 erhilet das MBT Anhalt per E-Mail indes eine Postkarte in dem ein "Reichsbürger" die Existenz der BRD leugnet (mehr dazu hier...).
Postkarte an MBT Anhalt, per Mail eingegangen am 12.09.2017
Auszug der hate mail an „DIE LINKE“ vom 28.12.2017
Auch das Bitterfelder Wahlkreisbüro der Partei „DIE LINKE“ fand im Mail-Postfach eine rassistische und antisemitische Nachricht vor, die zudem mit Mordphantasien nicht sparte (mehr dazu hier...).
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Instrumentalisierung des Reformationsjubiläums
Im Duktus von vermeintlicher „christlicher Tradition“ und dem „Schutz des Abendlandes“ nutzten verschiedener extrem rechter Akteure das Reformationsjubiläums als öffentliche Plattform. Im August 2017 meldete Christian Bärthel, der seit Jahren in der „Reichsbürger“- und Neonaziszene aktiv ist und Kontakte zu Karl Heinz Hoffmann, Horst Mahler und Ralf Wohlleben pflegt, mehrere versammlungsrechtliche Veranstaltungen und Bücherstände unter dem Motto „500 Jahre Reformation – zurück zur biblischen Ordnung“ in Wittenberg an (mehr dazu hier...).
Zeitgleich störten Akteur_innen der rechtsextremen Struktur „Kontrakultur Halle“ in Wittenberg einen Infostand einer Menschenrechtsorganisation, die sich sich für Flüchtlinge im Mittelmeer engagiert und kriminalisieren und bezichtigen diese der „Schlepperei“ (mehr dazu hier...).
Schließlich wird der Besuch des Ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban im November 2017 unter anderem vom Kreisverband der neonazistischen NPD ausdrücklich begrüßt (mehr dazu hier...), stellt Orban doch ein „Vorbild“ für verschiedene extrem rechte Strömungen dar (Flüchtlingspolitik, Menschenrechte, Pressefreiheit, Antiziganismus und Antisemitismus).
Rechtsextremismus-Monitor für die Region Anhalt
Neue Rechte / "Identitäre"
Vor allem Anfang des Jahres 2017 konnten gehäuft öffentliche Aktivitäten, sowohl im Internet als auch im öffentlichen Raum, festgestellt werden, die eindeutig der neurechten "Identitären Bewegung" zugeordnet werden können. So inszenierte die neurechte Gruppierung „Der Schild“ im Januar eine illegale Propagandaaktion am Friedensmoment in der Kavalierstraße. Dabei wurde ein Transparent mit der Aufschrift „Paris, Brüssel, Nizza, Berlin … Dessau? Islamisierung tötet! Verteidigt das Eigene!“ angebracht und später als Selbsbezichtigung auf Facebook veröffentlicht (mehr dazu hier...). Nur drei Tage später wird am Ortseingangsschild Bobbe (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) ein Banner mit der Aufschrift „Islamisierung tötet!“ festgestellt. Die Aktion steht offensichtlich im Zusammenhang mit einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in dem kleinen Ort (mehr dazu hier...).
Im März 2017 instrumentalisieren rechte und rassistische Akteur_innen ein im Rathauscenter und der Zerbster Straße stattgefundenen Konflikt zwischen zwei jungen Syrern und zwei deutschen Paaren für ihre menschenverachtenden Ziele (mehr dazu hier...). Ein Video von diesem Vorfall verbreitet sich aktuell viral-rasend in den sozialen Netzwerken, hochgeladen von "Der Schild". Es ist davon auszugehen, dass diese Orchestrierung ganz bewusst gewählt wurde um mit diesen Videos eine rassistische und fremdenfeindliche Hetze in sozialen Netzwerken zu generieren. Eine entsprechend rassistische Reaktion einiger Facebook-Nutzer ließ nicht lange auf sich warten. So war unter den veröffentlichten Videos unter anderem zu lesen:
- „Schlagt sie tot, diese Dreckschweine“
- „(…) und hätte ich das gewusst hätte ich mein Baysieschläger genommen und wäre dahin gegangen und und hätte ich Zivilcourage gemacht und dieses Ungeziefer kalt gemacht ich schwöre als geborener und dortlebender Dessauer auf Dessau!! (…)“
- „Schlachten dieses pack. die neuen Juden“.
Das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt (Projekt GegenPart) hat diesbezüglich insgesamt sechs Strafanzeigen wegen öffentlichen Aufrufs zu Straftaten und Volksverhetzung erstattet.
Monitoring für die Region Anhalt
Die AfD und ihr Umfeld
In Raguhn-Jeßnitz fanden seit Oktober 2015 schon weit über 20 Demonstrationen unter dem Motto "Merkel muß weg!" statt (mehr dazu hier...), die alle mit „freundlicher Unterstützung der AfD“ umgesetzt wurden. Maßgeblich verantwortlich für die Demos ist der „Reichsbürger“ Andreas T., der auf Facebook auch mit einschlägig bekannten Personen der extrem Rechten Szene befreundet ist, darunter auch immer wieder Personen mit Kleidungsstücken der bei Rechtsextremisten beliebten Modemarke Thor Steinar. Beworben werden die versammlungsrechtlichen Veranstaltungen von Andreas T. u.a. in der Facebook-Gruppe "Marktplatz Raguhn öffentlich", in der auch Kundgebungen der neonazistischen "Brigade Bitterfeld" veröffentlicht wurden.
Zudem wurde bekannt, dass Patrick H., der persönliche Referent vom AfD-Fraktionsvorsitzender Andre Poggenburg, Patrick H., im Herbst 2002 zum Mitarbeiter der Bundesführung der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) als „Leiter der Abteilung Beschaffung“ gewählt wurde. Damit ist die neonazistische Vergangenheit von H. offensichtlich. Die HDJ wurde 2009 vom Bundesinnenministerium verboten. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigte der HDJ in einem Urteil aus dem Jahr 2010 eine "Wesensverwandtschaft mit der Hitlerjugend und die Verherrlichung des Nationalsozialismus".
Im August 2017 sorgt eine interne Whats Up-Gruppe der AfD Sachsen-Anhalt, angelegt vom Dessauer AfD-Landtagsabgeordneten Andreas Mrosek, für mediales Interesse (mehr dazu hier...). Wie die Mitteldeutsche Zeitung auf Grundlage einer Analyse der hiesigen Verfassungsschutzbehörde berichtet, sind Einträge von 94 verschiedenen Personen nachweisbar. Drei davon seien demnach polizeibekannte Neonazis und 36 Chatteilnehmende verwendeten eindeutig rechtsextreme Sprache - das ist jeder Dritte. Ein Post des Köthener AfD-Aktivisten Steven H. fällt indes besonders auf. Dieser hatte im Mai 2017 in die Gruppe geschrieben: „Wenn wir an die Macht kommen müssen alle wieder ins Gas die nicht unsere Meinung sind“.
Zu einer AfD-Wahlkampfveranstaltung auf dem Dessauer Marktplatz am 18. August 2017 sind auch Neonazis aus der hiesigen Kameradschaftsszene anwesend. Sie bepöbeln und bedrohen Gegendemonstrant_innen verbal (mehr dazu hier...).
Im Bildvordergrund (v.l.n.r.): Siegmar Z. und Ringo T. (beide Neonaziaktivisten aus Dessau-Roßlau), Hannes Loth (AfD-Landtagsabgeordneter) und Patrick H. auf der Kundgebung am 18. August 2017
Aus Anlass einer CDU-Wahlkampfveranstaltung am 29.08.17 an der Bitterfelder Goitzsche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (mehr dazu hier...) hat die rechtsextreme Gruppierung "Volksbewegung Sachsen-Anhalt", hinter der sich namhafte Thügida-Aktivisten (neonazistischer Personenzusammenschluss aus Thüringen) verbergen, eine Kundgebung angekündigt. Die versammlungsrechtliche Anmeldung für diese Kundgebung wurde dann am Veranstaltungstag selbst kurzfristig zurückgezogen. Dennoch störten organisierte Neonazis und Rechtsextremisten sowie Anhänger der rechtspopulistischen AfD den Auftritt der Bundeskanzlerin und der anderen Redner_innen massiv. Dies sorgte in den Tagen danach für ein bundesweites, mediales Interesse und eine entsprechende Berichterstattung. Am Rande dieser CDU-Wahlkampfveranstaltung wurde auch ein Mann festgestellt, der auf seinem Unterarm den Spruch "Ich bereue nichts" in Frakturschrift sowie einen stilisierten Reichsadler tätowiert hat. Mit diesen drei Worten beginnt auch ein bekanntes Zitat des Hitlerstellvertreters und verurteilten NS-Kriegsverbrechers Rudolf Hess. Besonders pikant: der Mann mit dem Tattoo trug ein T-Shirt des Wahlkampteams von Kay-Uwe Ziegler, der für die rechtspopulistische AfD als Direktkandidat zur Bundestagswahl am 24. September 2017 antritt.
Der Mann mit dem Wahlkampfshirt vom Team Kay-Uwe Zigeler inklusive des Tattoos auf dem Unterarm; Foto: Stephanie Heide
Am 27.12.2017 kam es indes in Bitterfeld-Wolfen (OT Bitterfeld) zu einer rechtsmotivierte Sachbeschädigungen am Wahlkreisbüro der Partei DIE LINKE. Mit schwarzer Farbe wurden Hinweistafeln am Eingang übersprüht und unleserlich gemacht. Zudem wurde der Schriftzug "AFD" an die Hauswand gesprüht. Nur eine Woche später fand sich an dem Objekt eine gesprühte Todesdrohung gegen Mitarbeitende des Büros sowie ein Symbol der rechten Trollfabrik „Reconquista Germanica“.
Resümee
Insgesamt muss eine Diskursverschiebung nach rechts konstatiert werden, die Grenzen des „Sagbaren“ die gesellschaftlich wenig oder gar nicht sanktioniert werden, haben sich weiter verschoben. Auch in der Region Anhalt hat sich demnach eine rassistische und rechte Alltagskultur etabliert, die vor dem Jahr 2015 in Ausprägung, Qualität und Quantität so nicht zu konstatieren war. Die erfreuliche Entwicklung, dass die rechtsextremen und rassistischen Ereignisse rückläufig sind, ändert am Gesamtbefund wenig. Von einer Trendwende kann erst gesprochen werden, wenn sich diese Tendenz in den kommenden zwei Jahren kontinuierlich fortsetzt. Im 7-Jahresvergleich sind die rechten Ereignisse noch immer auf einem hohen Niveau; so wies die GegenPart-Chronik für die Jahre 2012 und 2013 jeweils nur ca. 150 Einträge auf, also nicht einmal die Hälfte der 2017 festgestellten Treffer (380).
Alle Erscheinungsformen der extremen Rechten, wie parteigebundene und –ungebundene Neonazis und neuere Phänomene wie Reichsideologie, Neue Rechte und die „Identitäre“ sind in der Region Anhalt nach wie vor aktiv. Dies führt zwangsläufig zu ideologischen Schnittmengen und auch zu Vernetzungen und Kooperationen untereinander, die Szene ist weiterhin handlungs- und kampagnenfähig.
Um so wichtiger ist die klare Positionierung und inhaltliche Auseinandersetzung mit allen Formen antidemokratischer und menschenverachtender Einstellungen, Verhaltensweisen und Ideologien. Dafür braucht es vor allem eine proaktive Unterstützung von Initiativen, Vereinen und Verbänden die sich für das zivilgesellschaftliche Engagement pro Demokratie/ gegen Rechts oder für Opfer rechter Gewalt ins Zeug legen und eine Wertschätzungs- und Anerkennungskultur für solche Aktivitäten von den regionalen Verantwortungs-träger_innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur.
Dabei sind nicht nur klassische Projekte der Rechtsextremismusintervention- und Prävention sinnvoll, sondern auch solche, die das soziale Miteinander und die Empathiefähigkeit in den Blick nehmen – ganz unabhängig von Herkunft oder gesellschaftlichem Status.