Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus bilanzieren erstes Halbjahr 2009

rechte Gewalttaten auf unverändert hohem Niveau / Rückgang der verzeichneten Propagandadelikte / Doppelstadt Dessau-Roßlau Hochburg neonazistischer Aktivitäten

In ihrer Präsentation der Halbjahresstatistik kommen die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (OBS) und das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus (Projekt gegenPart) zu dem Schluss, dass die Region Anhalt (Dessau-Roßlau, Landkreis Wittenberg, Landkreis Anhalt-Bitterfeld)  nach wie vor ein Schwerpunkt rechter Gewalt im Land ist. Die von den Projektmitarbeitern festgestellte Abnahme bei Propagandadelikten ist indes kein Beleg dafür, dass die Kampagnenfähigkeit und Deutungsmächtigkeit des organisiert und jugendkulturell verfassten Rechtsextremismus zwischen Elbe und Saale spürbar abgenommen hat: Von einer Entwarnung kann also keine Rede sein. Der Trend, dass vor allem Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum ihre Aktionen zusehends auf Dessau-Roßlau konzentrieren, hielt auch in den ersten beiden Quartalen im Jahr 2009 unvermindert an.

So entfielen 55% der Einträge in der gegenPart-Chronik (mehr dazu hier...), in der das Projekt rechtsextreme Straf- und Gewalttaten, Propagandadelikte und Ereignislagen verzeichnet, auf die Doppelstadt. Zudem registrierte die Opferberatungsstelle  insgesamt 18 rechte Angriffe, von denen allein 15 (83%) auf die kreisfreie Stadt entfielen.    

Angriffsstatistik der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt 1. Halbjahr 2009


Von Januar bis Juli 2009 sind der Dessauer Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg 18 Angriffe mit einem rechten Hintergrund bekannt geworden.

Auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle verteilen sich die 18 Angriffe wie folgt:


                                                                                     Quelle; Graphik: OBS Dessau

Rund 83 Prozent aller Angriffe im ersten Halbjahr 2009 haben in der Doppelstadt Dessau-Roßlau stattgefunden.

Der Vergleich der Anzahl der Angriffe auf den Zuständigkeitsbereich der Beratungsstelle der letzten zwei Jahre ergibt folgendes Bild:


                                                                                   Quelle; Graphik: OBS Dessau


Von den 18 Angriffen im ersten Halbjahr 2009 waren mindestens 25 Personen direkt betroffen, wobei 23 männlichen und 2 weiblichen Geschlechts waren.

Den 25 Opfern jeweils einen Straftatbestand zugeordnet, ergibt folgendes Bild:



                                                                                     Quelle; Graphik: OBS Dessau

Die Einteilung der 25 Personen nach Opfergruppen und vermuteter Tatmotivation ergibt folgende grafische Darstellung:


                                                                                      Quelle; Graphik: OBS Dessau

Der Vergleich der Angriffe der Jahre 2004 bis Jahr 2008 ergibt folgendes Bild:


                                                                                     Quelle; Graphik: OBS Dessau

Bilanz des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus


Die Analyse der Beratungsfälle bekräftigt im Ergebnis den Schluss, dass in Dessau-Roßlau die mit Abstand meisten rechtsextremen Aktivitäten und Ereignislagen in der Region Anhalt zu verzeichnen sind.

Von den insgesamt 25 vom Mobilen Beratungsteam begleiteten Prozessen, spielten sich 14 in der kreisfreien Stadt ab (annähernd 55 %).



Dieser Umstand  zeigt aber auch, dass die Sensibilität für rechtsextreme Denk- und Handlungsmuster in der Stadt stärker ausgeprägt ist als anderswo.

Zugleich belegen die Zahlen, dass das Unterstützungsangebot des Mobilen Beratungsteams in der hiesigen Kommunalpolitik, der Verwaltung und der Träger- und Initiativenlandschaft angekommen ist, angenommen wird und somit eine höhere Sensibilisierung zu verzeichnen ist.



Rechtsextremismus-Monitoring für die Region Anhalt


Das Projekt gegenPart hat in seiner Chronik  im 1. Halbjahr dieses Jahres (mehr dazu hier...) insgesamt 91 dokumentierte rechtsextreme Ereignislagen verzeichnet (2008: 150). Damit hat das Gesamtaufkommen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ca. 40  % abgenommen (mehr dazu hier...). Auffällig ist hier vor allem der Rückgang bei den bekannt gewordenen Propagandastraftaten. Während im ersten und zweiten Quartal 2008 noch 119 entsprechende Delikte festzustellen waren, weist die aktuelle Chronik in diesem Bereich 42 Einträge auf.

Für diese Entwicklung lassen sich bei nähere Betrachtung mehrere Erklärungsansätze finden. Der Repressions- und Ermittlungsdruck staatlicher Stellen, das jedenfalls lassen die in der Chronik erfassten Prozesse gegen Neonazis vermuten, hat offenbar spürbar zugenommen. Damit sind deutungsmächtige Akteure in der rechten Szene, vor allen in den hiesigen Kameradschaften, in ihre Handlungsfähigkeit entscheidend eingeschränkt, weil bei weiteren Straftaten mögliche Haftstrafen drohen. Außerdem ist bei einem erhöhten Repressionsszenario das nicht ganz neue Phänomen zu beobachten, dass sich die Szene verstärkt mit sich selbst beschäftigt, um die Reihen zu schließen und Abwehrstrategien zu entwickeln.


vor hiesigen Gerichten finden mehr Prozesse gegen mutmaßliche Rechtextremisten und Neonazis statt
 
Als Schwerpunkt des jugendkulturell und parteipolitisch verfassten Rechtsextremismus in der Region Anhalt, dass unterstreichen auch die Zahlen der gegenPart-Chronik, kann einmal mehr Dessau-Roßlau angesehen werden.

neonazistische Kameradschaften und rechtsextreme Personenzusammenschlüsse


Im abgelaufenen Berichtszeitraum hat das Projekt gegenPart intensiv die Aktivitäten der fünf in der Region aktiven Neonazikameradschaften beobachtet (2008: 4 Kameradschaften) (mehr dazu hier...). Mit dem rechtsextremen Personenzusammenschluss „Freie Nationalisten Anhalt-Bitterfeld“ hat sich in diesem Jahr zudem eine weitere Gruppierung konstituiert, die sich personell vor allem aus jugend- und subkulturell verfassten Rechtsextremisten speist, mittlerweile in die Szene integriert  ist und vor allem in der Stadt Bitterfeld-Wolfen Aktivitäten entfalten (mehr dazu hier...). Mit den Kameradschaften „Freie Nationalisten Cöthen/Anhalt“ und „Freie Nationalisten Aken/Elbe“ sind damit allein im Landkreis Anhalt-Bitterfeld drei rechtsextreme Personenzusammenschlüsse aktiv.


Neonazis der Kameradschaft "Freie Nationalisten Anhalt-Bitterfeld" beteiligen sich an einer rechtsextremen Großdemonstration am 14. Februar in Dresden (mehr dazu hier...)

Die Aktivisten der Kameradschaft in Dessau-Roßlau gehen zusehends dazu über, ihre lokalen Einflusszonen zu erweitern. Dies äußert sich  in einem augenscheinlich offensiveren und provokanteres Auftreten in der lokalen Öffentlichkeit. Als konstituierender Höhepunkt dieser Entwicklung, kann dabei die rechtsextreme Demonstration am 07. März diesen Jahres angesehen (mehr dazu hier...). Die  Einschüchterung und Bedrohung von demokratischen Akteuren , die wir bereits im vergangenen Jahr als neue Qualität beschrieben haben, hält unvermittelt an.


zahlreiche Menschen protestierten vor dem Dessauer Rathaus gegen den Naziaufmarsch am 07. März 2009

Die neonazistische NPD

In der Region sind mit den Kreisverbänden „Wittenberg“ und „Anhalt-Wolfen-Dessau“ zwei Basisorganisationen der neonazistischen Kampfpartei manifest. Die NPD hat auch hier ihr selbstgestecktes Ziel zur vergangenen Kommunalwahl, jeweils mit Fraktionsstärke in die Parlamente einziehen zu wollen,  eindeutig verfehlt (mehr dazu hier...).



Gleichwohl hat es in Köthen der Neonazi Steffen Bösener geschafft, ein Mandant für den Stadtrat zu erringen. Bösener gilt als zentrale Figur der hiesigen Neonaziszene und betreibt seit Jahren ein rechtsextremen Versandhandel im Internet und zudem einen Neonaziladen in der Köthener Innenstadt.


der Köthener Neonazi Steffen Bösener sitzt nun für die NPD im Stadtrat (mehr dazu hier...)

Die Tatsache, dass er und sein Gesinnungsgenosse Rene H., beide zugleich Führungspersönlichkeiten der örtlichen Kameradschaft, auf der NPD-Liste antraten, zeigt die nach wie vor enge Verquickung zwischen dem parteipolitischen Rechtsextremismus und der neonazistischen Szene. Genau diese personelle Verzahnung ist es dann auch, die für die weitere Radikalisierung der NPD maßgeblich ist.
Dabei wird ganz klar die strategische Ausrichtung auf die im Jahr 2011 stattfindenden Landtagswahlen vorweggenommen.

Resümee

Trotz  des zahlenmäßigen Rückgangs bei rechtsextremen Propagandastraftaten besteht kein Anlass dafür, Entwarnung zu geben. Vor allem Dessau-Roßlau war im 1. Halbjahr erneut eine Schwerpunktregion rechter Aktivitäten im Land, die Gewalt auf den Straßen ist nach wie vor virulent.

Hinzu kommt das es der Szene gelungen ist, die jugendkulturelle  und damit ereignisorientierte Infrastruktur in der Region auszubauen. Neben dem extrem rechten Szeneladen in Köthen, sind in diesem Jahr Verkaufsgeschäfte in Dessau-Roßlau (mehr dazu hier...) und Jessen (Landkreis Wittenberg) hinzu gekommen (mehr dazu hier...).

Hinschauen und Eingreifen ist nach wie vor das Gebot der Stunde und es gilt besonders, für die Opfer rechter Gewalt eine breitgetragene Solidarisierungskultur einzufordern.
Die demokratisch verfasste Zivilgesellschaft, aber auch staatliche Stellen, müssen auf diese Herausforderungen  mit neuen und zeitgemäßen Konzepten reagieren.



Infos/Kontakt: 

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt