Mehr als 100 NGOs wehren sich gegen geplante Verfassungsschutz-Klausel

Gemeinnützige Organisationen kritisieren drohenden Machtzuwachs der Behörde

Die Proteste gegen eine geplante Gesetzesänderung, die es dem Verfassungsschutz erlauben würde, faktisch über den Fortbestand gemeinnütziger Organisationen zu entscheiden, nehmen zu. Inzwischen haben mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen einen von Attac und ROBIN WOOD initiierten offenen Brief gegen dieses Vorhaben unterzeichnet.

Die Bundesregierung will im Rahmen der Beschlussfassung über das Steuergesetz 2013 auch die Abgabenordnung (§51, Abs.3) ändern. Das würde dazu führen, dass gemeinnützige Körperschaften, die in einem Verfassungsschutzbericht als „extremistisch“ bezeichnet werden, automatisch und ohne weitere Prüfung durch die Finanzämter ihre Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen Steuervorteile verlören. Mit dem am 27. Juni versandten offenen Brief fordern die unterzeichnenden Organisationen die Bundestagsabgeordneten auf, diese Verfassungsschutz-Klausel ersatzlos aus der Abgabenordnung zu streichen.

„Es würde der Willkür Tür und Tor öffnen, wenn ein Inlandsgeheimdienst ohne Anhörung  über die finanzielle Zukunft gemeinnütziger Organisationen entscheiden könnte“, sagte Daniel Häfner von ROBIN WOOD. „Die große Resonanz auf unseren offenen Brief zeigt, wie viele Organisationen, in denen Hunderttausende ehrenamtlich aktiv sind, dieses Vorhaben empört. Der Passus muss gestrichen werden – der Verfassungsschutz würde sonst zu Richter und Henker in einem.“

Jutta Sundermann vom Koordinierungskreis von Attac ergänzte: „Der aktuelle NSU-Skandal zeigt, dass der Verfassungsschutz – vorsichtig ausgedrückt – auf mindestens einem Auge blind ist. Eine solche Behörde über Wohl und Wehe von gemeinnützigen Organisationen entscheiden zu lassen, wäre ein Hohn. Die Parlamentarier sollten sich auch an die peinliche Diskussion beim Meldegesetz erinnern: Eine vermeintlich kleine Änderung in einem Gesetzespassus kann Bürgerrechte massiv beeinträchtigen.“ Jetzt sei es an den Fachleuten in den Bundestagsausschüssen, einen solchen Fehler nicht zu wiederholen.
Derzeit liegt es an den Finanzämtern zu prüfen, ob ein Extremismus-Vorwurf durch den Verfassungsschutz zum Entzug der Gemeinnützigkeit führt. Die Finanzämter übernehmen so praktisch eine Kontrollfunktion des Verfassungsschutzes und sind die einzige außergerichtliche  Anhörungsinstanz für betroffene Organisationen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht dagegen keine Prüfung mehr vor; die Entscheidung läge faktisch allein beim Geheimdienst.

Noch bleibt Zeit, die - allen rechtsstaatlichen Prinzipien zuwider laufende - Aufgabenerweiterung des Verfassungsschutzes zu verhindern. Nach der ersten Lesung im Parlament wurde der Gesetzesentwurf inzwischen an die Ausschüsse überwiesen. Federführend ist der Finanzausschuss, der am 26. September tagen wird. Deren Mitglieder haben die täglich länger werdende Liste der protestierenden Organisationen zugesandt bekommen. Kritik und parlamentarische Anfragen kommen nicht nur von Seiten der Opposition.

Bislang unterzeichneten 109 zivilgesellschaftliche Organisationen den offenen Brief. Die Organisationen stammen aus allen Bereichen, z.B. Umwelt, Bürgerrechte, Kultur und Bildung. Der hundertste Verein ist z.B. das Kulturbüro Sachsen e.V. (www.kulturbuero-sachsen.de).

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