„Feuerzeuge finden Sie in den heimischen Zellen.“

Drei Ex-Chefredakteure gewähren tiefen Einblick in ihre ruinierten Karrieren


Dem Anhaltiner im Allgemeinen und dem Dessauer im Speziellen wird ja in der Regel ein griesgrämiges Gemüt mit einer habituellen Ferne zu Humor, Esprit und einem weltmännischen Lebensgefühl nachgesagt. Umso erstaunlicher, dass am 10. Dezember immerhin 130 Gäste den Weg ins Bauhaus fanden uns sich dabei nicht einmal vom Konzept der Satire abschrecken ließen. Den was die Mutigen unter den Eingeborenen dort erwartete, war nur mit einer gehörigen Portion Ironiefestigkeit und dem unbedingten Wille zur Selbstgeißelung zu ertragen. Der Förderverein Junger Musiker (beatclub Dessau) hatte im Rahmen der vom Lokalen Aktionsplan für Demokratie und Toleranz (mehr dazu hier...) geförderten Veranstaltungsreihe „Das Ende von Gesellschaft“ (mehr dazu hier...) drei Männer an die Mulde geholt, deren Lebensweg nicht nur exemplarisch für ruinierte Karrieren steht. Martin Sonneborn, Thomas Gsella und Oliver Maria Schmitt sind nicht nur als Ex-Chefredakteure des Satiremagazins „Titanic“ grandios gescheitert (Eigenwerbung), sondern produzierten bei ihrem Kurzintermezzo in der Bauhausstadt im Grünen Irritationen (sehr viele), Unverständnis (noch mehr) und Lacher an den unmöglichsten Stellen (noch viel mehr) am laufenden Band. Mit ihrer Forderung die Mauer wieder aufzubauen, ihrer Demontage des US-amerikanischen Weltenretters Barack Obama und allerlei erwärmender Anekdoten aus dem Alltag Dessauer Polizeizellen sorgten sie dafür, dass vielen Gästen dieser Abend nachhaltig-traumatisch im Gedächtnis verhaftet bleiben wird.


die Titanic-Boygroup auf der Bauhausbühne

Zu Beginn der sechsstündigen Ringvorlesung, die laut des einzigen Sakkoträgers an diesem Abend, Oliver Maria Schmitt, in jedem Fall eine „scheinpflichtige Veranstaltung“ wäre, flimmert über die Bauhausbühne das in einem warmen Orange gehaltene Titanic-Logo. Das der satirische Generalangriff auf alles und jeden kein molliges Plauderstündchen in der Vorweihnachtszeit werden würde, zeigte der Trailer zur Lesung. In diesem bewiesen die Protagonisten nicht nur ein seismographisches Gespür für ostdeutsche Befindlichkeiten sondern vor allem ihre Fähigkeit, die Leute dort zu treffen wo sie wohnen. Dieser wichtige und nahezu sinnstiftende Beitrag zur Implementierung einer regionalen Identität, von dem alle örtlichen Tourismusverbände nur lernen können, gipfelte dann auch konsequenterweise in der Aussage: „Wir sind heute hier in Dings, dem Duisburg des Ostens“. Schon im Vorspann zum Eigentlichen wurden „formschöne Bauhaus-Pointen“ angekündigt und der unverhohlene Aufruf an die Gäste, heimlich und intensiv zu rauchen, mündete in einem analytischen Meisterstück: „Feuerzeuge finden Sie in den heimischen Zellen.“



Oliver Maria Schmitt nimmt das Publikum dann auf eine historische Reise durch das Titanic-Universum mit und vergisst vorher in einem Anflug von Größenwahn und manischem Geltungsbedürfnis nicht, auf die kulturpolitische und industriegeschichtliche Bedeutung des endgültigen Satire-Magazins hinzuweisen: „Schiffe wurden nach uns benannt, Filme wurden nach uns benannt.“


Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn auf der Bauhausbühne

Wir lebten 10 Jahre in Westdeutschland relativ ruhig vor uns hin.“, sagt Schmitt und präsentiert dabei die erste Ausgabe der Titanic aus dem Jahre 1979. Doch dann wäre es mit der Beschaulichkeit ein für allemal vorbei gewesen, den schließlich habe Helmut Kohl 1989 „neue Abonnenten ins Land gelassen“. Darauf habe die Titanic angemessen reagiert und auf einem Titelblatt zunächst die Ernährungs- und Kaufgewohnheiten der Neubürger soziologisch untersucht: „Zonen-Gabis erste Banane!“ Die Ossis seien danach fressend über das Land gefallen und der Verlust von tradierten und bewährten Werten sei nicht mehr aufzuhalten gewesen. Schon früh hat „Titanic“ die Rechtmäßigkeit des Zusammenwachsens beider deutschen Staaten angezweifelt und in einer Schwerpunktausgabe schließlich festgestellt: „Wiedervereinigung ungültig. Helmut Kohl war gedopt!“ Außerdem habe man in der Redaktion beizeiten das wahre Potential von Helmut Kohls Tochter erkannt und deshalb schon vor Jahren einen „Angela Merkel Gesichter-Wettbewerb“ auf den Markt geworfen.

Schließlich, so Schmitt weiter, hat der Hype um den neuen Hoffnungsträger der Weltpolitik schon etwas beängstigendes und die Aufregung sei nicht wirklich nachvollziehbar. Die aktuelle Ausgabe der „Titanic“ beschäftigt sich zwar auch mit „Obamas Schattenkabinett“, doch der geneigte Gast erfährt, dass der Diskurs im Blatt viel älter und schon gar nicht von tagespolitischen Erwägungen gekennzeichnet ist. Unter der Überschrift „Warum nicht einmal einen Neger?“, hat die Zeitschrift immerhin schon vor geraumer Zeit versucht, Roberto Blanko für das Amt des Bundeskanzlers ins Gespräch zu bringen. Und diese vorgeschlagene Personalie, habe zudem noch weitere Vorteile: „Unser Obama kann noch breiter lächeln, als der der Amerikaner.“ Auch auf außenpolitischen Terrain sei die Symbolkraft einer solche Besetzung nicht zu unterschätzen: „Das wär ein Spaß bei der Kranzniederlegung im Warschauer Ghetto.“


Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn auf der Bauhausbühne

Wir arbeiten eng mit unseren satirischen Partnern zusammen, zum Bespiel mit der katholischen Kirche.“, umreißt Schmitt die redaktionelle Grundphilosophie des Magazins. Weniger Spaß habe die Kirche allerdings verstanden, als das Blatt unter der Schlagzeile „Lattengustl“ die nicht nur aus theologischer Sicht interessante Frage debattierte, welche Relevanz Jesus heute noch für die Menschen habe. Diese und andere Diskursstränge haben schließlich dazu geführt, dass man die kirchlichen Partner, um deren Kooperation auf Augenhöhe man beständig bemüht sei, bei insgesamt zehn Verfahren vor Gericht wieder getroffen hat. Einem der verantwortlichen Redakteure hat er damals einen durchaus erfolgversprechenden juristischen Tipp mit auf den Weg gegeben: „Ich habe ihm empfohlen zu sagen, dass er nur auf Befehl gehandelt hat.“ Dies, so der Ex-Chef weiter, habe in Deutschland schließlich eine lange Tradition.

In der jüngsten Vergangenheit stand auch die Beschäftigung mit „einer hier im Osten unbekannten Splitterpartei“ im Fokus des Interesses. So hat die „Titanic“ intensiv nach dem humanen Kapital des SPD-Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier gesucht, um womöglich dessen Profil zu stärken. Das Ergebnis sei indes eher niederschmetternd: „Der Mann hat überhaupt keine menschlichen Eigenschaften.“ Und schließlich könne auch der realitätsfremdeste Satiriker seine Augen vor den kommenden Krisenszenarien nicht verschließen. Jetzt müsse es darum gehen, positive Tendenzen zu verstärken um so die Grundstimmung merklich zu heben. Auch deshalb postuliert das trendsetzende Blatt hier innovative Maßnahmen: „Neues Rettungspaket: `Merkel bürgt für guten Sex.`“



Ich bin nicht allein nach Dessau gekommen, das wäre Wahnsinn.“, moderiert Schmitt seinen Ex-Kollegen Thomas Gsella an. Der Vielschreiber Gsella, dessen persönliche Bibliographie im Foyer des Bauhauses einen ganzen Büchertisch füllt, zeichnet in der „Titanic“ u.a. für die Rubrik „Briefe an die Leser“ verantwortlich. Darin beschimpft er nicht nur die LeserInnen, sondern äußert sich zu knallharten und komplex-politischen Sachzusammenhängen ebenso, wie zu den Abgründen der deutschen Kleinbürgerseele. Mit dem untrüglichen Gespür eines wahren Künstlers gräbt er dabei realsatirische Anekdoten aus, die sich keine Comedy-Schreiber ausdenken könnte. So beispielsweise eine Todesanzeige in den Kieler Nachrichten, in der die Familie von Hinten sich von einem lieben Angehörigen verabschiedet: „ Heute nach Gott, unsere liebe Mutter von Hinten.“ Gsella veröffentlicht im Magazin der Süddeutschen Zeitung zudem die Kolumne „Der kleine Berufsberater“. Auf dieser Seite rechnet er auf seine charmant-brachiale Weise mit eh schon gebeutelten Berufsbildern ab, um die bestehenden Vorurteile nicht kritisch zu hinterfragen, sondern zu bekräftigen. Ganz nach dem Motto: „Wer getroffen ist der bellt ums so lauter“, gibt der Autor hier einen Einblick in die wütenden Reaktionen und die Beißreflexe, die seine Gedichte und Verse auslösen. Ein Lehrer beschwert sich da mit „hauptschulaffiner Lyrik“ über die undifferenzierte Demontage von Pädagogen, und die Hausfrau Margit W. verfasst ein kaum zitierfähiges Protestgedicht. Auch „streng Andersgläubige“ schließt Gsella in seine Berufsberatung ein und beurteilt die Aussichten von „islamistischen Bombenlegern“ auf dem hiesigen Arbeitsmarkt eher düster.


Martin Sonneborn und Thomas Gsella auf der Bauhausbühne

Martin Sonneborn, der dritte Ex in der Runde, berichtet zunächst von einer Sternstunde deutscher Fußballkultur, so wie er sie zusammen mit den Kollegen Gsella und Jürgen Roth beim Vorrundenspiel Deutschland gegen Rußland bei der vergangenen WM in der hessischen Provinz erlebt hat. Dort war das Trio eingeladen worden, um in einem Bierzelt vor 300 Menschen dieses Spiel auf der Bühne zu kommentieren, das der bekannte Fußballkommentator Gerd Rubenbauer live im TV besprach. Schnell wurde klar, dass die drei Herren wesentlich mehr Spaß dabei hatten, als das bierseelige Publikum in Eschwege. „Stalingrad zählt selbstverständlich doppelt“, erinnert sich Sonneborn an einen seiner Kommentare, in dem er die bisherigen deutschen Niederlagen Revue passieren ließ. Nach der recht eindeutigen Aufforderung der Public Viewing-Gäste, doch das Spielgeschehen auch zu kommentieren, hätten sich die drei Animateure notgedrungen dazu entschlossen, „etwa alle 8 Minuten irgendwas zu erzählen“. Doch schon Anfang der zweiten Halbzeit war klar, dass die Fußballfreunde am versammelten Sachverstand auf der Kommentatorenbühne erheblich zweifelten. Nicht ohne Stolz erzählt Sonneborn, dass schließlich alle ihre Statements mit einem lauten „Fresse halten“ retourniert worden wären. Schließlich kam es wie es kommen musste und das Zelt forderte wie aus einer Kehle: „Wir wollen Rubenbauer hören!“



Martin Sonneborn hat in den letzten Jahren aber vor allem als Protagonist einer die bundesrepublikanischen Politiklandschaft bereichernden Vereinigung von sich reden gemacht: als Vorsitzender der „Die Partei“. Ihm fällt es nicht schwer, die programmatischen Eckpunkte in einem Satz zu erklären: „Diese kleine schmierige Partei will in Deutschland an die Macht.“ Bei den immerhin 6000 Mitglieder habe man insbesondere mit der Forderungen punkten können, die Mauer wiederaufzubauen und „das Merkel dahinter wegzusperren“. Der Partei-Chef nutzt das Podium auch, um neue Anhänger zu gewinnen. Es gebe noch niedrige Mitgliedsnummer: „Das kann wie wir wissen, einer späteren Karriere nicht abträglich sein.“ Außerdem ziehe auch noch ein anderes Argument: „Schon mein Großvater war in der Partei.“

Apropos parteipolitische Gefilde. Der Ex-Chefredakteur hat noch ein paar entlarvende Kurzfilme dazu im Gepäck, die im deutschen Fernsehen jedoch nie gelaufen sind. Das Sonneborn-Team forderte Hinterbänkler aus der fünften Reihe in den Streifen dazu auf, über besonders erwähnenswerte Anekdoten oder Geschichten aus ihrem politischen Leben zu berichten. Natürlich, das gebiete die schnelllebige Mediengesellschaft mit ihren Formatanforderungen, haben sie dafür nur 90 Sekunden Zeit. Auch hier schlägt die realsatirische Situationskomik erbarmungslos zu und man fragt sich zunächst wirklich ob diese Bundestagsabgeordneten nicht gemerkt haben, dass sie eigentlich nur verarscht werden. Doch schließlich sprechen die recht holprigen Versuche der Mandatsträger für sich. Hoch amüsant, mit welcher Stringenz der FDP-Politiker Burkhard Müller-Sönsken völlig nachrichtenfrei versucht zu erklären, welchen Tabubruch er als neuer und junger Abgeordneter des Reichstages beging, in dem er mit einem Skateboard das riesige Gebäude im Zentrum der Hauptstadt erkundete und dafür von arrivierten Kollegen auch noch gescholten wurde. Nicht minder lustig, wie Franz Obermeier von der bayrischen CSU darüber schwadroniert, dass er einmal seine Pfeifentasche verlor, diese auf dem harten Pflaster Berlins zum Erliegen kam und er zu allem Überdruss in dieser Situation noch mit dem Fahrrad unterwegs war. Ernst Hinsker (CSU) erklärt vor einer weiß-blauen Fahne lächelnd in die Kamera, dass er vor etlichen Jahren eine Messe im russischen Nowosibirsk eröffnet hat und ihm der dortige Funktionär der KPDSU verschmitzt darauf aufmerksam machte, dass die beiden Parteibezeichnungen mit „SU“ enden. Eine Pointe, die so richtig sitzt. Meldungen, die die Welt nicht braucht, ohne die sie wohl aber schwerer zu ertragen wäre.


Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn auf der Bauhausbühne

Schließlich läuft Oliver Maria Schmitt noch einmal zu Hochform auf und erläutert dem staunenden Publikum zunächst sein wissenschaftliche Essay über Albert Einstein, den „Lenin des Ostens“. Einstein, der zudem über „eine ansehnliche Sammlung von Schnauzbärten verfügte“, sei der „naturwissenschaftliche Grundtyp der den Osten als erster gelebt“ habe. Schmitt bewegt sich ideengeschichtlich auf sicherem Terrain wenn er behauptet: „Vor Einstein gab es mit Ausnahme von Friedrich Nitzsche keinen lustigeren Wissenschaftler.“ Kein Wunder, das er nach der allgemeinen Relativitätstheorie noch eine spezielle hinterher geschoben hat: „Einstein nutzte ja nur 10 Prozent seines Gehirns selbst.“

Der Ex-Chef packt in Dessau noch eine Weltpremiere aus. Er gestattet dem Publikum einen tiefen Blick in seinen Briefkasten. Einmal sei die dort aufgefundene Kombination besonders schlimm gewesen: Unter einem Brief von Ulrich Wickert fand sich zudem eine Anleitung für ein „Perfektes Dinner“. Der Ex-Anchorman der Tagesthemen wirbt auf einem Flyer, dessen Botschaft zusätzlich durch die treuen Augen eines peruanischen Mädchens visualisiert wird, für die Unterstützung einer Hilfsorganisation. Für Schmitt ist hier klar: „Deshalb unterstütze ich die Hilfsorganisation schon lange, trotz und gerade wegen solcher Spendenmonster wie Mutter Beimer.“ Die Werbung für ein opulentes Mehrgängemenü assoziiert er freilich mit ganz anderen Formaten: „Wer beim Promi-Dinner gesehen wird, hat meist schon das Ticket zum Dschungel-Camp in der Tasche.“ Was dort oftmals angeboten werde, sei von einem „verkohlten Fleischklotz auf weißem Porzellan“ kaum zu unterscheiden. Doch auch er, sollte er jemals dazu gezwungen werden ein Promi-Dinner auszurichten, würde sich wohl für die Fleischvariante entscheiden. Seinen Gästen, bevorzugt Nena und Marion Gräfin Dönhoff, würde er wohl einen saftigen Bockschinken namens „Barny“ vorsetzen. Der könnte auch zum „klodeckelgroßen Zigeunerschnitzel“ oder einem „8- Personen-Schweinearsch“ mutieren. Da das dann 400g Nettofleisch für einen Gast sind, müssten die vier Gänge, inklusive dem Nachtisch, aus kreativ zubereiteten totem Tier bestehen: „Das ist wahrlich mehr als ein Quantum Trost.“ Schließlich kommt der hartgesottene Satiriker so richtig ins Fabulieren: „An meinem Tisch staunen mich an: Ulrich von Wickert, das kleine peruanische Mädchen und Barny der Backschinken.“



Nachdem sich Schmitt mit seinem Vorschlag unter dem Label „Flachdachkrach“ ein neues Bauhaus-Musical zu kreieren, den gewollten Unmut der versammelten Kulturelite zuzieht, lässt er den Abend mit etwas Lokalkolorit angemessen ausklingen. Er ruft die Gäste nach der Lesung dazu auf, gemeinsam mit den Autoren nackt durch die Stadt zu tollen. Bei einer wahrscheinlichen Verhaftung brauche man sich um die beheizten Zellen keine Sorgen machen: „Feuer ist ja immer da.“ Doch, soweit müsse es ja nicht kommen: „Wir hoffen auf Freispruch.“

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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt