„Für uns sind nicht nur die Angeklagten Mörder sondern alle Polizisten, die am 07. Januar 2005 im Polizeirevier anwesend waren.“



Dessau-Roßlau erinnert an den qualvollen Tod Oury Jallohs // Demonstranten üben erneut harsche Kritik an der Polizei, der Justiz und der Zivilgesellschaft


Die Stadt Dessau-Roßlau rief am 07. Januar 2009 zu einer Mahnwache auf, MigrantInnenselbstorganisationen und antirassistische Gruppen mobilisierten zu einer Demonstration. Anlass dieser verstärkten Aktivitäten zum Jahresbeginn war der 4. Todestag Oury Jallohs. Der Mann aus Sierra Leone verbrannte damals - an Händen und Füssen gefesselt - in einer Dessauer Polizeizelle. Doch trotz dieser zeitlichen und räumlichen Nähe hätten die politischen Forderungen und Schlussfolgerungen die an diesem Tag gezogen wurden, differierender wohl kaum sein können. Während an der Friedensglocke 50 BürgerInnen der Stadt Anteil am Schicksal Oury Jallohs nahmen und für Weltoffenheit und Toleranz plädierten, kritisierten die 150 Demonstrationsteilnehmer die juristische Aufarbeitung des Falles als „Scheinprozess“, sprachen von einem Mord in der Polizeizelle und forderten zudem die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission, die den Tod des Asylbewerbers untersuchen soll.

Mittwoch, der 07. Januar 2009 pünktlich 08.00 Uhr: Rund 50 Menschen versammeln sich bei klirrender Kälte an der Friedensglocke, um an den Tod Oury Jallohs vor genau vier Jahren zu erinnern. Zu der Mahnwache im Stadtzentrum hat Oberbürgermeister Klemens Koschig aufgerufen. Gekommen sind neben einer handvoll Stadträte, u.a. der Leiter des Polizeireviers, Wolfgang Berger, der Dessauer Polizeipräsident Karl-Heinz Willberg und Oberstaatsanwalt Christian Preissner, der die Anklagebehörde im Oury Jalloh-Prozess vertritt (mehr dazu hier…). Die arktischen Temperaturen verhindern nicht nur, dass wie geplant die Glocken des symbolträchtigen Mahnmals erklingen. Die Technik der Friedensglocken hat genau so den Geist aufgegeben, wie der Wagen des Oberbürgermeisters. Klemens Koschig steckt noch in Roßlau fest und wird von der Finanzdezernentin Sabrina Nußbeck vertreten.



Die verliest in handgestoppten 120 Sekunden die Erklärung der Stadt. Darin wird das Bedauern über die tragischen Umstände, die zum Tod Oury Jallohs führten, zum Ausdruck gebracht. Die Stadtvertreterin geht in ihrem Kurzstatement noch auf einen anderen Aspekt des Falles ein, der insbesondere nach der als gescheitert zu betrachtenden juristischen Aufarbeitung im Jalloh-Prozess (mehr dazu hier…), aktueller denn je erscheint und die öffentliche Debatte nach wie vor prägt: „Die Geschehnisse um den schrecklichen Tod bieten Raum für Mutmaßungen, Verdächtigungen und Misstrauen in der Stadt. Damit belasten diese schrecklichen Ereignisse das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugezogenen in hohem Maße.“ Oberbürgermeister Klemens Koschig hatte dies in seinem Aufruf zum Gedenken noch stringenter formuliert: „So sehr sich die Justizbehörden auch mühten, es gibt keinen Abschluss, der den Tod von Oury Jalloh erklärbar macht.“ Nußbeck ist sich dennoch sicher, das sich viele BürgerInnen der Stadt schon jetzt aus „tiefster menschlicher Überzeugung“ für ein friedliches und kreatives Miteinander einsetzen würden. Sie schließt mit dem Appell: „Lassen Sie uns gemeinsam für eine friedliche Zukunft unserer Stadt, geprägt von Weltoffenheit und Toleranz, eintreten.“


Finanzdezernentin Sabrina Nußbeck ruft dazu auf, Dessau-Roßlau weltoffener und toleranter zu gestalten

Während viele Beobachter und Teilnehmer der Mahnwache die symbolische Geste, die die Stadt mit diesem ersten offiziellen Erinnern setzte, durchaus zu würdigen wussten, wurde indes auch Kritik laut. Nicht nur am frühen Beginn der Veranstaltung, sondern auch am Ort und dem Rahmen des Gedenkens. Eine Sprecherin einer Migrantenselbstorganisation der Stadt bestätigte auf gegenPart-Nachfrage, dass man sich in einem bilateralen Gespräch mit dem Oberbürgermeister im Vorfeld der Veranstaltung darauf verständigt habe, dass Erinnern am oder im Polizeirevier stattfinden zu lassen. Diesen zweifellos angebrachten Rahmen, insbesondere was die Orts- und Anlassbezogenheit anbelangt, setzten lokale AkteurInnen bereits im letzten Jahr um - und er stieß fast durchgängig auf positive Resonanz. Nach gegenPart-Informationen, verweigerte der Hauptausschuss der Stadt diesem Konzept allerdings in diesem Jahr seine Zustimmung.


Teilnehmer des Gedenkens an der Dessauer Friedensglocke

Szenenwechsel. Mittwoch, 07. Januar 2009, Bahnhofsvorplatz: Mit einstündiger Verspätung setzt sich die 150 Teilnehmer der Demonstration „Break the Silence“ in Bewegung. Zu dem Aufzug, den die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ durchführt, sind neben Aktivisten der Black Community aus Berlin, Hamburg und Jena, auch antirassistische Gruppen aus der Hauptstadt, zwei Dutzend alternative Jugendliche aus der Region, die „Deutsch-Afrikanische Initiative Dessau“ und die „Socialist Party of Iran“ erschienen. Die Polizei, die mit einem massiven Aufgebot aus Landesbereitschaftspolizei, Bundespolizei und Staatsschutzbeamten präsent ist, hält sich in der Folge augenscheinlich im Hintergrund. Zu nennenswerten Zwischenfällen sollte es nicht kommen.


hatten nicht viel zu tun: die Deeskalationsteams der Polizei

Schon eine oberflächliche Analyse der mitgeführten Schilder und Meinungsäußerungen zeigt offensichtlich, dass die ProtagonistInnen heute nicht mit einer überschwänglichen Dialogbereitschaft nach Dessau gekommen sind. Fundamentalkritik, die erst gar nicht den Anschein einer differenzierten Betrachtung aufkommen lassen wollte, sei es am deutschen Rechts- und Justizsystem, am institutionellen Rassismus oder am gescheiterten Oury Jalloh-Prozess, stehen im ausschließlichen Fokus. Man spürt förmlich die emotional aufgeladene Stimmung, die mit ohnmächtiger Wut und einem Entsetzten darüber getränkt ist, dass am Ende des Verfahrens keine Schuldigen für den qualvollen Tod Oury Jallohs benannt werden konnten, oder zumindest der Ablauf der Geschehnisse halbwegs aufgeklärt worden wäre. In dieser Gesamtkonstellation verwundert es dann kaum, dass von der Demonstration vor allem eine Botschaft ausging, die sich immer wieder in Sprechchören manifestierte: „Oury Jalloh das war Mord!“ Auf einem Transparent kann man dieser Logik folgend dann auch lesen: „Polizisten morden und Ihr Schweigt“, während auf einem anderen Spruchband behauptet wird: „Der Freibrief für Staatsorgane Verbrechen zu begehen, bringt den Faschismus hervor – Damals wie heute!“ An anderen Stelle ist man sich sicher: „Rassistische Gewalt trägt Uniform und Robe!“







Noch am Hauptbahnhof bekräftigt der Göttinger Aktivist Cornelius Yufanyi der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, warum man heute eigentlich hier ist: „Wir demonstrieren nicht nur, weil Oury Jalloh ermordet wurde, wir demonstrieren auch, weil das Justizsystem in Deutschland nicht funktioniert.“ Der Jalloh-Prozess habe die Forderungen nach Gerechtigkeit, Wahrheit und Entschädigung eben nicht erfüllen können. Der Fall müsse neu aufgerollt werden, aber nicht von denen, so Yufanyi weiter, die ihn umgebracht haben: „Nicht von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht.“ Nicht zum letzten Mal wird an diesem Tag eine unabhängige Kommission gefordert, die ohne jegliche Einflussmöglichkeiten durch bundesrepublikanischer Justiz- und Staatsorgane die Geschehnisse und Abläufe vom 07. Januar 2005 aufklären soll. Dennoch sieht der Aktivist den Umstand, dass das Verfahren gegen die zwei angeklagten Polizeibeamte überhaupt zu Stande gekommen sei, als Erfolg an und liefert die etwaige Botschaft, die von diesem Verfahren ausginge, gleich mit: „Jeder in Deutschland weiß nun, dass Oury Jalloh ermordet wurde.“ Die Demoteilnehmer sind wohl gekommen, um genau dies zu hören. Es wird zustimmend und laut applaudiert. Wenig später fragt der Aktivist in die Runde: „Was ist der Unterschied zwischen einem Mord durch die Polizei und dem Richter der gesagt hat, dass die Polizeizeugen die Aufklärung in diesem Verfahren unmöglich gemacht haben?“ Für ihn ist die Antwort recht simpel und er verbindet sie zudem mit einer harschen Kritik an den Richter. Dieser, so der Sprecher weiter, hätte mit mehr Druck dafür sorgen müssen, dass Polizeibeamte vor Gericht endlich die Wahrheit sagen.



Und während aus dem Lautsprecherwagen angekündigt wird, dass man solange in Dessau demonstrieren werde, bis der Fall restlos aufgeklärt sei, skandiert die Demo lauthals: „Hoch die Internationale Solidarität!“ Auch wenn sich der Bezug dieser politischen Willensbekundung zum Fall Oury Jalloh nicht wirklich erschließt, scheint diese Selbstbestätigung für die Binnenidentität der Teilnehmer irgendwie wichtig zu sein.

Dann macht der Zug im Stadtpark just an dem Platz halt, wo Nazischläger im Jahr 2000 Alberto Adriano zu Tode prügelten. Ein Sprecher ist sich hier sicher: „In Dessau gab es eine Kampagne, eine Kampagne gegen schwarze Menschen die behauptete, alle Afrikaner wären Drogendealer.“ Der Halbbruder Oury Jallohs, Mamadou Siliou, der zu Urteilsverkündung aus dem westafrikanischen Guinea angereist ist und noch bis Mitte Januar in Dessau verweilt, bedankt sich bei allen, die zur Demonstration gekommen sind: „Alle Menschen die heute hier sind, sind Menschen, die für die Freiheit und gegen Rassismus kämpfen.“ Wenig später wird er noch deutlicher: „Wir müssen gegen die Brutalität der Polizei kämpfen, die meinen Bruder umgebracht hat und von der Justiz dabei noch unterstützt wurde.“


Mamadou Siliou (Bildmitte) verleiht im Stadtpark seiner Empörung Ausdruck

Ein Vertreter der Flüchtlingsinitiative Brandenburg appelliert zunächst an die Vorstellungskraft der Teilnehmer, und spricht dabei explizit die Menschen ohne Migrationshintergrund an: „Stellt Euch mal vor, ihr reist nach Kamerun, kommt dort in eine Zelle und werdet dann verbrannt.“ Danach überrascht er mit einem Vergleich, der bei einigen Beobachtern auf Unverständnis stößt: „Ich will sagen wenn Oury Jalloh der Name eines Hundes gewesen wäre, hätte man sicherlich versucht heraus zu finden, wie er gestorben ist. Es ist eine Schande, dass in Deutschland Hunde mehr Rechte haben, als Migranten die hier leben.“


Demonstranten zeigen umstrittenens Transparent

Auf der Museumskreuzung im Stadtzentrum schallt es nun aus den Boxen: „Wir sind heute hier, weil das Justizapparat in Sachsen-Anhalt unfähig ist aufzuklären, was Polizisten hier so verbrechen.“ Derweil sind nicht alle Passanten von den Botschaften die von der Demonstration ausgehen begeistert und verweigern die Annahme der angebotenen Flugblätter schon einmal mit unflätigen Bemerkungen.

An der Friedensglocke angekommen, fragt Cornelius Yufanyi rhetorisch die Dessauer Bevölkerung: „Habt ihr eine Mahnwache für Mario Bichtemann gemacht?“ Damit spielt der Göttinger Aktivist auf einen weiteren Todesfall im Gewahrsamstrakt des Dessauer Polizeireviers an (mehr dazu hier...) und möchte damit augenscheinlich belegen, dass sich etwaige polizeiliche Verfehlungen nichts zwangsläufig gegen Flüchtlinge und MigrantInnen richten müssten. Antworten tut ihm niemand, das erledigt Yufanyi gleich selbst: „Dessau ist eine Monsterstadt, wenn ihr so weiter macht!“ Oury Jalloh, so der Vertreter weiter, sei in der Stadt schließlich kein Einzelfall gewesen. Auch die Ermordung Alberto Adrianos benennt er in diesem Zusammenhang: „Die wurden alle von der Polizei umgebracht.“


die Demo legt an der Friedensglocke einen Zwischenstopp ein




128 Menschen wären zudem seit 1993 im Polizeigewahrsam bundesweit ums Leben gekommen, zitiert ein weitere Redner eine Statistik der Initiative „Pro Asyl“. Für die Mahnwache der Stadt, haben die meisten Demonstranten hier nicht viel übrig: „Das Friedensgeläut was hier heute stattgefunden hat, soll die Lügen nur überdecken und weiterführen.“ Auch für ihn ist völlig klar: „Für uns sind die Polizisten, die Oury Jalloh in Gewahrsam genommen haben, seine Mörder.“ Eine erhebliche Mitschuld sieht er zudem bei der „deutschen Justiz“ und benennt aus seiner Sicht noch weitere Verantwortliche für den Feuertod des Asylbewerbers: „Für uns sind nicht nur die Angeklagten Mörder sondern alle Polizisten, die am 07. Januar 2005 im Polizeirevier anwesend waren.“ Schließlich hätten sich alle Beamten der Mittäterschaft schuldig gemacht, insbesondere weil sie den „vom Polizeichef konstruierten Tathergang“ schweigend hingenommen hätten.



Schande, Schande – Mörder“, skandiert der Demonstrationszug vor dem Polizeirevier in der Wolfgangstrasse und besetzt zugleich symbolisch die Stufen des Gebäudes. „Hier hat man Oury Jalloh kurz nach 12 am lebendigen Leib verbrannt.“, sagt ein Teilnehmer und fügt sichtlich empört hinzu: „Vier Jahre danach haben wir keine Erklärung, keine Wahrheit und keine Gerechtigkeit.“ Mit bitteren Sarkasmus hebt der Sprecher auf das Aufsehen ab, den der Fall weltweit erregt habe: "Wir freuen uns, dass Oury in der ganzen Welt ein Star geworden ist.“ Für ihn erwächst daraus nur eine Konsequenz: „Oury hat uns gezeigt wenn wir schweigen, wird es immer so weiter gehen.“


Demonstranten besetzten symbolisch die Treppen des Polizeireviers






Die Debatte um den Feuertod Oury Jallohs und dem wohl gescheiterten Versuch einer juristischen Aufarbeitung reißt in der Stadt indes nicht ab. Am 15. Januar lädt die Deutsch-Afrikanische Initiative zu einer Podiumsdiskussion ins Schwabehaus, auf der Nebenklagevertreter und die Dessauer Prozessbeobachtergruppe das Hauptverfahren Revue passieren lassen (mehr dazu hier...). Gut eine Woche später findet im Alternativen Jugendzentrum eine weitere Veranstaltung statt (mehr dazu hier...).

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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt