„Massenkontrolle aller Afrikaner in Dessau wegen Drogen. Kommen Sie mit!“

erneut schwere Vorwürfe gegen Polizei erhoben / Betroffene haben Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht und verlangen Schmerzensgeld

Ein Polizeieinsatz am 16. Dezember 2009 in Dessau-Roßlau sorgt für ein weiteres Nachspiel. Vor fünf Monaten hatten Beamte im Zuge einer polizeilichen Maßnahme gegen den Drogenhandel auch das Telecafe und dort gerade anwesende Kunden und Nutzer durchsucht. Der Laden in der  Innenstadt gilt als informeller Treffpunkt der afrikanischen Community. Die Vorwürfe, die die Deutsch-Afrikanische Initiative, Opferberatungsprojekte und die Betroffenen selbst damals erhoben, wogen schwer. Von einem  „rechtswidrigen und diskriminierenden Polizeieinsatz“ und einer „abscheulichen Behandlung durch Polizeibeamte“ war da die Rede (gegenPart berichtete...). Schließlich befasste sich der Innenausschuss des Magdeburger Landtages mit dem Fall. Später räumte der zuständige Polizeipräsident „erhebliche Versäumnisse“ ein und entschuldigt sich für das Vorgehen. Außerdem wurden nach gegenPart-Informationen inzwischen zwei hochrangige Polizisten versetzt. Nun haben sich beim Antidiskriminierungsbüro der Stadt weitere Afrikaner gemeldet. Auch sie berichten von Leibesvisitationen mitten auf der Straße, nicht begründeten Platzverweisen und einer unangemessenen Behandlung durch Polizeibeamte.



Warum  A. A. Boukaka und K. J. Bkwai * erst im April 2010 den Weg in seine Beratungsstelle fanden, weiß Marco Steckel nicht zu sagen. Der Mitarbeiter des Multikulturellen Zentrums mutmaßt dennoch: „Da spielen mit Sicherheit auch Ängste eine Rolle.“ Was die beiden Afrikaner aus Dessau und Zerbst Steckel berichten, erinnert fast im Detail an die Geschehnisse, die sich im vergangenen Jahr so oder ganz ähnlich im Telecafe in der Friedrich-Naumann-Straße abgespielt haben. Boukaka und Bkwai saßen nach eigenen Angaben an jenem 16. Dezember 2009 gegen 15.30 Uhr nur hundert Meter entfernt vom Telecafe in einem Schnellrestaurant, als  Polizisten hereinkamen und sie mit den Worten „Kommen Sie raus!“ aufforderten, unverzüglich mitzukommen. Aus den eidesstaatlichen Erklärungen der Betroffenen, die dem Projekt gegenPart vorliegen, geht hervor, dass einer der Beamten auf die Frage Bkwais, was das alles zu bedeuten habe, geantwortet haben soll: „Für alle Afrikaner in Dessau ist eine Massenkontrolle wegen Drogen. Kommen Sie mit!“ Schließlich schildern beide, dass sie sich dann in der nahegelegenen Wallstraße vor einer großen Gruppe Polizisten und unter den Augen zahlreicher Passanten, die Szenerie war von mehreren Hochhäusern einsehbar, entkleiden mussten und dabei nur den Slip und die Strümpfe anbehalten durften.  Nach der Durchsuchung hätten sie dann nach 20 Minuten und ohne jeden Kommentar ihre Ausweispapiere zurückbekommen. Zudem erklären A. A. Boukaka und K. J. Bkwai, dass ihnen danach der Zugang zum Telecafe, der Kavalierstraße und dem Stadtpark von der Polizei untersagt worden wäre. Eine Begründung für die bis 0.00 Uhr geltenden Platzverweise hätten sie auch auf Nachfrage nicht bekommen.



Am 28. April 2010 haben A. A. Boukaka und K. J. Bkwai nun Dienstaufsichtsbeschwerde gegen bislang unbekannte Polizeibeamte bei der Zentralen Beschwerdestelle in Magdeburg eingereicht. Darin sprechen sie von „unwürdigen“ und „rechtswidrigen“ Durchsuchungen. „Ich bin kein Dealer oder BTM-Konsument. Solche Vermutungen sind während des Einsatzes auch nie geäußert wurden“, macht A. A. Boukaka seinen Unmut über einen möglichen Generalverdacht gegen Afrikaner Luft. Verhältnismäßig wären die Durchsuchung erst dann gewesen, wenn hinreichende Anhaltspunkte oder zumindest eine Überprüfung der Personalien und eine damit verbundene Abfrage etwaiger einschlägiger Vorstrafen oder Ermittlungsverfahren stattgefunden hätten. Damit begründen die beiden auch ihre Forderung nach Schmerzensgeld. Sie wollen vom Land Sachsen-Anhalt 1.000 Euro einklagen.



Ganz unabhängig von solchen juristischen Fragen, macht sich Marco Steckel  so seine eigenen Gedanken: „Wenn sich die Vorwürfe so bestätigen, haben wir es nicht nur mit verdachtsunabhängigen Kontrollen, sondern womöglich mit  einer ethnisch motivierten Durchsuchungspraxis zu tun.“  Ob dies so ist, können nur weitere Untersuchungen und Ermittlungen in der Causa „16. Dezember 2009“ ans Tageslicht bringen. Auch im Interesse des stark in Mitleidenschaft gezogenen Vertrauensverhältnisses zwischen Migranten und der Polizei in Dessau, sollte eine schnelle Aufklärung für die Verantwortlichen Priorität haben.
_____________ 
* Namen von der Redaktion geändert

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt