„Wenn man in Europa einen grünen Zettel braucht um zu arbeiten, dann schicke ich Dir einen.“

Filmfestival „Demokratische Welten“ begeistert Publikum und eine Fachjury gleichermaßen




Der Offene Kanal Dessau hat geklotzt und nicht gekleckert. Zusammen mit zahlreichen Kooperationspartnern hat er nicht nur einfach zu einem Videowettbewerb aufgerufen, sondern für die Beteiligten ein Rund-um-Paket auf die Beine gestellt, dass nachhaltig und behutsam angelegt war und sich ganz der Devise „Step by Step“ verschrieben hatte (mehr dazu hier…). Dazu gehörten Workshops, die den Teilnehmern Basiswissen zu Interviewtechniken, Dramaturgie, Kameraführung und Tonfertigkeiten an die Hand gaben (mehr dazu hier…).


der Dramaturgie-Workshop stieß ebenso auf großes Interesse...


...wie der zu Schnitttechniken

Der ganze Aufwand mit durchschnittenen Nächten am Cutter-Tisch, Stressreaktionen nach der X-ten Szenewiederholung und entnervten Praktikanten hat sich aber schließlich mehr als rentiert. Immerhin nahmen 30 FilmerInnen die Gelegenheit war, ihre Ideen kreativ auf Zelluloid respektive Mini-DV zu bannen. Und breiter konnte der Querschnitt der AkteurInnen dabei kaum sein. Der jüngste Teilnehmer war gerade 13, der älteste zählte stolze 67 Lenze. SchülerInnen und PädagogInnen reichten ebenso Arbeiten ein, wie Asylbewerber, Kids mit und ohne Migrationshintergrund und selbst PolizeibeamtInnen schauten einmal durchs Objektiv, ohne dabei Geschwindigkeit und die Straßenverkehrsordnung im Kopf zu haben.


mit zahlreichen Voträgen warb der Offener Kanal im Vorfeld des Projektes um eine Beteiligung

Bei soviel konzeptionellem Weitblick erscheint es nur konsequent, dass auch der Höhepunkt des Wettbewerbes in einer gelungenen Präsentation im Umweltbundesamt mündet. Zum Filmfestival „Demokratische Welten“ war dann auch viel politische Lokalprominenz zugegen, um damit letztlich auch das Engagement der FilmemacherInnen zu würdigen.


der Saal im Umweltbundesamt war gut gefüllt...



...und auch das UBA-Foyer vor der offiziellen Eröffnung des Festivals

Christoph Erdmenger, Mitarbeiter des Umweltbundesamtes (UBA) und Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, wünscht sich dass von dem Wettbewerb ein Signal ausgeht: „Dessau ist eine weltoffene Stadt, in die ich gerne ziehe.“ Gerade deshalb sei es für ihn selbstverständlich, dass der Abschluss dieses Projektes im UBA stattfinde.

„Dessau ist eine weltoffene Stadt, in die ich gerne ziehe.“


Christoph Erdmenger begrüßt die Gäste

Edith Strassburger vom Offenen Kanal begrüßt das Publikum und hält sich sonst sichtlich zurück. Das muss sie eigentlich nicht, hat sie doch zusammen mit den Projektleiterinnen Kristin Beckmann und Conni Wosch, den Workshop-Machern Rolf Teigler und Florian Aigner und der Öffentlichkeitsreferentin Maren Franzke den Wettbewerb maßgeblich gestemmt und zum Erfolg geführt. Dazu gehörte u. a., dass Projekt in der Vorbereitungsphase in Schulen, der Polizeidirektion und in englischer Sprache beim Studienkolleg des Bauhauses vorzustellen.




zahlreiche Gäste schrieben sich ein, um später am Publikumsentscheid teilnehmen zu können

Susi Möbeck, Integrationsbeauftragte des Landes und Schirmherrin des Festivals, findet klare Worte: „Der Wettbewerb zeigt, das Sachsen-Anhalt ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat.“ Aus diesem beschriebenen Defizit leitet die SPD-Politikerin einen unmissverständlichen Bedarf, gerade auch für solche bürgerschaftlich-demokratische Impulse, ab: „Keiner kann heute mehr meinen, wegschauen gehört zum gutem Ton.“ Der menschenfeindliche Gehalt des Rechtsextremismus komme vor allem im Umgang mit MigrantInnen augenscheinlich zum Vorschein: „Bestenfalls werden sie als Opfer angesehen, schlimmstenfalls als Schmarotzer bezeichnet.“ Die Tatsache, dass es hier nur wenige AusländerInnen gäbe und es dadurch für die deutsche Mehrheitsbevölkerung kaum möglich sei, einen unmittelbaren und direkten Kontakt zu pflegen, müsse Ansporn dafür sein, die Anstrengungen für Integration noch zu verstärken. Möbeck macht einen Forderungskatalog auf und spricht davon, dass ein kommunales Wahlrecht für AusländerInnen „unverzichtbar“ sei. Darüber hinaus müsse ein fairer Zugang zu Aus- und Weiterbildung garantiert werden. „Ihre Authentizität wird gebraucht“, freut sie sich abschließend über die Wettbewerbsbeiträge von MigrantInnen.

"Der Wettbewerb zeigt, das Sachsen-Anhalt ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat.“


das Ensemble Shoshana sorgte für die musikalische Umrahmung



Klemens Koschig verschlägt es an diesem Abend regelrecht die Sprache. Der Oberbürgermeister Dessau-Roßlaus hat gerade mit einer medizinisch indizierten Einschränkung seines Stimmorganes zu kämpfen und lässt es sich trotzdem nicht nehmen, heute auf der Bühne zu stehen: „Wir sind stolz auf unseren Offenen Kanal, der bringt Vielfalt und Farbe in unsere Stadt.“ Koschig ist zudem sicher, dass sich der lokale Mit-Mach-Sender längst aus seinem Nischendasein emanzipiert hat: „Der Kanal wird ins unserer Stadt geschaut.“

„Wir sind stolz auf unseren Offenen Kanal, der bringt Vielfalt und Farbe in unsere Stadt.“

Das Stadtoberhaupt ist ein bekennender Verfechter des Lokalen Aktionsplanes (LAP), denkt deshalb in den Bannen integrierter Handlungsstrategien und verweist zunächst auf eine Filmproduktion des Alternativen Jugendzentrums, die das Schicksal einer während des Naziterrors in Dessau ums Leben gekommenen Zwangsarbeiterin beleuchtet und ursächlich nichts mit dem Filmfestival zu tun hat: „Ein sehr beeindruckender Film, sehr emotionsgeladen.“ Zurückkommend auf das Festival attestiert er diesem einen wahrlich beteiligungsorientierten Habitus, der nicht konstruiert sein könne: „Das ist keine Überzeugungsarbeit, dass ist keine Propaganda.“ Die Resonanz habe schon jetzt gezeigt, dass es sich gelohnt hat, dass der LAP-Begleitausschuss genau dieses Projekt für förderfähig erachtete. „Das höre ich jeden Tag, im eigenen Haus von vielen Bürgern.“, sagt Koschig und meint damit den Ruf nach einem starken Mann, der oft auch durch die Amtsstuben halle. Das fehlenden Vertrauen in demokratische Aushandlungsprozesse wieder herzustellen, ist für Koschig das Hauptziel des Aktionsplanes. Dieser Wettbewerb versuche genau das in vorbildlicher Weise: „Diese Kreativität brauchen wir in der Auseinandersetzung mit der braunen Soße.“

"Diese Kreativität brauchen wir in der Auseinandersetzung mit der braunen Soße.“


Oberbürgermeister Klemens Koschig registriert sich vorbildlich

M
artin Heine ist Direktor der Landesmedienanstalt und findet, dass auch JournalistInnen einen Teil dazu beitragen können, Demokratieverdruss abzubauen. Heine begrüßt so ausdrücklich die geplante Live-Übertragung von Landtagsdebatten im Internet. Dies könne mehr Transparenz schaffen. Er plädiert zudem dafür, mit Rechtextremisten und Neonazis den direkte argumentativen Schlagabtausch zu suchen: „Ich hoffe, das dieser oder jener Faschist vielleicht einen Film aus dem Wettbewerb sieht.“

„Ich hoffe, das dieser oder jener Faschist vielleicht einen Film aus dem Wettbewerb sieht.“

Nach diesem Rede- und Statementmarathon wartet das Publikum gespannt auf die Filme. „Wenn ich in den Saal sehe, sehe ich auch eine Jury.“, moderiert Projektleiterin Kristin Beckmann den ersten Sendeblock an und verweist ausdrücklich darauf, dass die Anwesenden in einem partizipativen Akt auch mitstimmen können, um am Ende den Publikumspreis zu vergeben.

Und dabei haben die Gäste wahrlich eine Wahl. Der Beitrag „Zeinab“ von Heidrun Köhler und Maria Kahler steht zuerst auf dem Programm. Der Kurzfilm beleuchtet die Lebenswirklichkeit der 16jährigen Schülerin Zeinab in Dessau-Roßlau. Das syrische Mädchen macht im Film das, was Teenager allgemein so treiben. Zusammen mit Freundinnen sitzt sie lachend auf eine Parkbank, die Bilder verströmen ein Hauch von Ungezwungenheit. Das Gesprächsthema der Mädchen passt jedoch so gar nicht zur lockeren Atmosphäre. Da werden Zukunftspläne geschmiedet, die mit Deutschland und Dessau-Roßlau nichts zu tun haben. Die eine will nach Amerika und Zeinab überlegt, nach Syrien zurück zu gehen. Wenn sie beteuert: „Ich habe bisher überhaupt keine deutschen Freunde, nur Ausländer.“, scheint klar zu sein, warum die Stadt für Kids mit Migrationshintergrund kein attraktiver Ort ist. Zeinab, was übrigens soviel wie „die Gute“ bedeutet, singt einen Liedrefrain mit, bei dem es um „starke Mädchen“ geht. Sie lädt uns auch ins Wohnzimmer der Großfamilie ein, dort sitzen die Frauen und Mädchen allein.

"Ich habe bisher überhaupt keine deutschen Freunde, nur Ausländer.“


alle WettberwebsteilnehmerInnen auf der großen Showbühne

In dem Kurzstreifen „Was wir denken?“ von Maria Altnau und Bettina Brecke diskutieren junge DessauerInnen über Politik. Die dabei manchmal durchschimmernde Naivität ist kein Manko, sondern macht die Authentizität des Films aus. Während Stefan meint, dass zu viel „schlechte Politik im Umlauf ist“, sieht das Helene anders. Sie liest gar regelmäßig die Süddeutsche Zeitung und weis nicht nur aus dieser Quelle: „Die Aggression gegen Ausländer ist im Osten größer“. Auf dem grünen Rasen des Stadtparks geht es dann auch um die Frage, welchem Assimilations- und Anpassungsdruck MigrantInnen und Flüchtlinge hier ausgesetzt sind.

„Die Aggression gegen Ausländer ist im Osten größer“

Da kamen Einheiten der SS und haben uns aus dem Häusern geschmissen“, erinnert sich Alois Koschig in der Dokumentation „Flucht aus der Heimat- ein Zeitzeuge erzählt“ an seine Kindheit im Nationalsozialismus. Der Vater des heutigen Oberbürgermeisters betreibt nicht – wie so viele seine Generation- Geschichtsrevisionismus um damit die deutschen Täter zu entlasten und das Leid der NS-Opfer zu verunglimpfen. So ausgewogen und objektiv wie möglich ist er bemüht, Jugendlichen seine Geschichte zu erzählen. Die Präventionsabteilung der Polizeidirektion, die auch für diesen Beitrag verantwortlich zeichnet, ermöglicht ihm dabei solche Zeitzeugengespräche an Schulen. Er benennt die Ursache, die letztlich zur Migration auch seiner Familie führte: den Vernichtungskrieg der Wehrmacht. „An diesem Baum hingen unsere Soldaten mit einem Schild: Ich bin ein Verräter. Solche Eindrücke vergisst man das ganze Leben nicht mehr.“, schildert Koschig die Greueltaten, die er selbst mit ansehen musste.

Da kamen Einheiten der SS und haben uns aus dem Häusern geschmissen“


die JurorInnen verkünden das Ergebnis

Zuerst ist dem Betrachter nicht wirklich klar, wie der Film „Mausoleum- Eine Chance für Dessau?“ eigentlich mit dem Motto des Festivals zusammengeht. Die bewegte und unbewegte Geschichte eines architektonischen Wahrzeichens, dass im Tierpark der Stadt seit Jahrzehnten ein wenig beachtetes Schattendasein fristet, will nicht so recht zum Leitbild des Wettbewerbes passen. Doch offensichtlich ist der Filmemacher der zudem eher der älteren Generation zu zurechnen ist, ein Freund von harten inhaltlichen Brüchen. Plötzlich und unerwartet spielt auch das ehemalige jüdische Leben in der Stadt, der Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten und der deutschen Volksgemeinschaft und das heutige Wirken der wiedererstarkten jüdischen Gemeinde in Dessau eine Rolle. Was das nun wieder mit dem Mausoleum zu tun hat? Ganz einfach, der Macher schlägt im Beitrag kurzer Hand vor, dass historische Gebäude endlich einer sinnvollen Nutzung zu zuführen. Man wünscht sich ein interkonfessionelles Zentrum für Sachsen-Anhalt, mit einem Synagogenraum und einer Moschee. Klemens Koschig saß derweil in der ersten Reihe und hat den ungewöhnlichen Vorschlag in einer öffentlichen Premiere live serviert bekommen.

Es war sicherlich Zufall, dass keiner der Filme die im ersten Programmblock des Festivals liefen, von der Fachjury oder dem Publikum prämiert wurde. Die Preise in insgesamt drei Kategorien räumten andere Dokumentationen ab.



Völlig zu recht kürten die JurorInnen den Film „Mama“ von Maman Salissou Oumarou in der Sparte „Die beste Vorstellung von Fremden“ zum besten Beitrag. Viele Beobachter waren sich darin einig, dass diese Produktion vielleicht die beeindruckenste des gesamten Wettbewerbes ist. Der Dokumentation gelingt es ohne einen reflexartigen Missionierungsanspruch und mit einer beinah banal anmutenden Erzählstruktur, die Irrationalität des restriktiven deutschen Asylrechtes zu demaskieren. Dabei wird auf einen persönlichen und emotionsgeladenen Zugang gesetzt, der aber nicht ausschließlich nach der Methode „aus dem Bauch heraus“ wirkt. Selbst Situationskomik hat hier noch einen Informationsgehalt, wenngleich die Grenze zur Realsatire fließend ist, die freilich nicht lustig, sondern eher als Farce daherkommt.

Wenn der Asylbewerber Maman Salissou Oumarou aus dem Niger, dessen Asylantrag im übrigen abgelehnt wurde, sich nach Jahren telefonisch aus Dessau bei seiner „Mama“ in Afrika meldet und diese kaum glauben kann, dass ihr Sohn noch lebt, ist das noch keine ungewöhnliche Geschichte. Ungewöhnlich, ja nahezu verrückt, wird es, wenn Oumarou seiner Mutter zu erklären versucht, warum er seine Familie bisher nicht unterstützt hat. Die Mama kann mit dem Begriff „Arbeitserlaubnis“ nichts anfangen und wähnt sich von ihrem Sohn betrogen: „Sprich vernünftig mit mir!“ Der versucht, den bürokratischen Akt durch die Leitung nach Übersee zu beschreiben: „Ein grüner Zettel auf dem steht, das ich arbeiten darf.“

„Jetzt reicht es mir! Du bist doch gesund, also wozu brauchst Du eine Erlaubnis zum Arbeiten?“

Doch auch der zweite Anlauf, das faktische Arbeitsverbot für Asylbewerber zu beschreiben, überschreitet den Vorstellungshorizont der Afrikanerin: „Jetzt reicht es mir! Du bist doch gesund, also wozu brauchst Du eine Erlaubnis zum Arbeiten?“ Der Teufelskreis der prekären Lage in der sich abgelehnte Asylbewerber befinden, bringt der junge Mann aus dem Niger auf den Punkt: „Ich kann nur hier bleiben, wenn ich heirate oder Kinder bekomme. Und dann darf ich auch arbeiten.“ Als er seiner Mutter dann noch offeriert, dass er nicht heiraten könne solange er keine Arbeit hat und nicht arbeiten könne, bevor er verheiratet sei, ist sie zunächst völlig konstatiert: „Kommt sofort nach Hause!“ Das gehe nicht, sagt Maman Salissou Oumarou, schließlich habe er ja kein Geld für den Rückflug. Wenig später rationalisiert sie für sich selbst jedoch: „Wenn man in Europa einen grünen Zettel braucht um zu arbeiten, dann schicke ich Dir einen.“

„Wenn man in Europa einen grünen Zettel braucht um zu arbeiten, dann schicke ich Dir einen.“

(…) Die Idee ist simpel: Angehörige von vier Nationen treffen sich, um jeweils ein nationaltypisches Gericht miteinander zu nehmen (…)“ begründet die Fachjury ihre Entscheidung, dem Film „Das perfekte Dinner“ von Anne Greiser den 2. Preis in der Kategorie zu verleihen, in der das Telefonat mit der Mama den 1. abräumte. Vier Menschen aus Afrika, Asien, Russland und Deutschland kochen ihr Lieblingsgericht und verkosten dann gegenseitig die kulinarischen Spezialitäten. Nicht alle können sich für alle Gerichte geschmacklich-sensitiv beigeistern, so die zentrale Botschaft des Beitrages. Dem Film ist zu Gute zu halten, dass er offensichtlich einen niedrigschwelligen Zugang, nämlich einen durch den Magen und über die Geschmacksknospen, präferiert. Doch leider bleibt der Beitrag dramaturgisch und inhaltlich am Herd hängen und leistet nur einen beschränkten Beitrag zur Dekonstruktion des Fremden.


SchülerInnen des Gymnasiums Philantropinum bei der Vorfeldveranstaltung im Rahmen des Projektes

“Jetzt kommen wir zu etwas völlig anderem“, dieser Sinnspruch der britischen Blödeltruppe Monty Python trifft gut den Kern der Wettbewerbskategorie „Ungewöhnliche Darstellung“. Hier brilliert der Film „Jeder ist anders“ von gleich fünf Filmmachern. Die Jugendlichen besuchen nicht nur gemeinsam die Ganztagsschule „An der Stadtmauer“, sondern rappen zusammen in einer Hip Hop-Crew. Der Beitrag ist quasi ein Videoclip zum gleichnamigen Song der Band, aber dennoch viel mehr.


Rappen gegen Fremdenfeindlichkei: die Dessauer Hip Hop-Crew "G-Records"

Die Kids mit und ohne Migrationshintergrund bedienen viele Klischees, wenn sie sich vor tristen Plattenbauten und auf Hochhausdächern abfilmen lassen. Doch neben diesem Habitus, der in dieser Jugendsubkultur wohl ebenso dazugehört, wie die zu weiten Hosen, überdimensionierte Goldkettenplagiate und die obligatorischen Basecaps, haben die Akteure ein Sendungsbewusstsein. „Über die Hälfte meiner Freunde sind Ausländer, wir gehören zu Dessau wie die Puppen zum Schaufenster.“, knallt einer der MC`s ins Mikro. Dieser kosmopolitische Appell wird einen Reim später in eine naiv erscheinende Feststellung gesteigert: „Meine Stadt ist multikulturell.“ Die Combo löst diesen Wunsch in der nächsten Strophe relativierend gleich selbst auf: „Wenn du es nicht siehst Junge, ja dann bist du blind.“ Dieser Clip heischte selbstredend den Publikumspreis ein, war er doch für Dessau-Roßlauer Verhältnisse so einzigartig , dass die Wahl nur konsequent war.

„Über die Hälfte meiner Freunde sind Ausländer, wir gehören zu Dessau wie die Puppen zum Schaufenster.“



Ganz im Stile großer Stummfilmklassiker der 1920iger Jahre wird im Film „Allein gelassen“ kein Wort gesprochen, Mimik und Gestik bestimmen die Erzählung. Mehr noch, Handlungsbrüche und dramaturgische Wendungen werden mit eingeblendeten Denkunterstützungen für die ZuschauerInnen visualisiert: „Eine Clique“, „Fremder“, „Doch dann“ und „Fehlt da noch nicht einer?“. In dem Film geht es vordergründig eben nicht um Nazis, Rechtsextreme oder Rassismus. Vielmehr ist es Mandy Dörre auf einem erstaunlich hohen Abstraktionsniveau gelungen, Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozesse mit gruppendynamischem Charakter treffsicher und anspruchsvoll zu beschreiben. Ein Mädchen wird von einer vierköpfigen Clique trotz intensivster Interaktionsbemühungen zunächst konsequent ignoriert. Schließlich kann sie das Interesse eines anderen Mädchens gewinnen. Danach lassen sich zwei weitere Cliquenmitglieder auf sie ein. Am Schluss bleibt noch einer übrig, der zuvor die Ausgrenzung des Mädchens am vehementesten betrieben hat. Nun ist er selbst der Außenseiter und wird von der neu konstituierten Gruppe abgelehnt. Der Jury dürfte es nicht leicht gefallen sein, diesen Film auf den 2. Platz in der Sparte „Ungewöhnliche Darstellung“ verwiesen zu haben.



Miriam Malungo, Patricia Wypchlo, Rebecca Wallis, Edith Rehm und Rita Strasburger haben mit ihrem Kurzfilm „Cala a boca!“ die Sparte „beste Darstellung multikultureller Normalität“ gewonnen. Mit einer wie immer angelegten Normalität, hat der Beitrag gleichzeitig viel und gar nichts zu tun. Alle sind SchülerInnen des Dessauer Liborius-Gymnasiums, das für sein Engagement für Weltoffenheit und Demokratie bekannt ist. So etwas wie Alltag, gelebte Normalität, stellt sich ein, wenn die jungen Frauen erzählen auf was sie für Musik stehen und welchen ethnischen Hintergrund ihre Eltern haben. Das ist vor allem ein Ausdruck ihrer Freundschaft untereinander. Auf der kurzen Zugfahrt im Regionalexpress nach Wolfen wackelt die Kamera und die Akteurinnen sind ausgelassen und lustig. Weniger witzig wird es, wenn ein Mädchen berichtet, dass sie wegen ihres Aussehens in Wolfen als „Kongolippe“ rassistisch beleidigt wurde und deshalb nach Dessau ans Gymnasium wechselte. Sie erzählt im Kreise ihrer Freundinnen über diese Diskriminierung fast beiläufig und recht locker. Doch dass diese Ausgrenzungserfahrungen nur ein belanglosen Kapitel sein werden, glaubt man nicht wirklich. „Warum gibt es Menschen, die Leute mit anderer Herkunft ablehnen?“, fragt die Filmemacherin in die ungezwungene Runde hinein. Diese Frage will und kann der Beitrag wohl nicht erschöpfend beantworten.

„Warum gibt es Menschen, die Leute mit anderer Herkunft ablehnen?“

Der Offene Kanal möchte nun in einem nächsten Schritt mit den enstandenen Kurzfilmen an die Dessau-Roßlauer Schulen. Dort sollen sie im Unterricht eingesetz werden.

Bleibt eigentlich nur noch eins: Bitte mehr von solchen Projekten!

verantwortlich für den Artikel:

 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt