Nach bislang ungeklärtem Tod eines Flüchtlings: Parteien, Vereine und Beratungsprojekte fordern Schließung des Asylbewerberheims in Möhlau


150 Menschen demonstrierten vor dem Landratsamt in Wittenberg

Die Ereignisse um den mysteriösen Tod eines Flüchtlings (mehr dazu hier...) und (hier...) aus einem Heim in Möhlau (Landkreis Wittenberg) scheinen sich zu überschlagen. Nachdem Ermittler erst vor wenigen Tagen verlauten ließen, dass der 28-jährige Mann gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde wohl eine falsche Identität angegeben habe, kritisieren immer mehr Landespolitiker und lokale Initiativen die katastrophalen und menschenunwürdigen Lebensbedingungen in der Unterkunft. Laut einem Bericht des Internetportals „Mut gegen rechte Gewalt“ schließt die hiesige Staatsanwaltschaft einen fremdenfeindlichen Hintergrund als handlungsleitendes Tatmotiv nach wie vor nicht aus. Die Bewohner des Heims hatten in einem Offenen Brief bereits im April diesen Jahres davon gesprochen, dass sie und ihre Kinder mehrmals Opfer rechtsextremer Angriffe geworden wären. Der Asylbewerber hatte sich am 30. Juni 2009 unter bisher nicht geklärten Umständen schwere Brandverletzungen zugezogen und verstarb wenige Tage später in einer Spezialklinik in Halle.


Auftaktkundgebung am Wittenberger Bahnhof

Marco Steckel ist als Leiter der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Dessau Einiges gewöhnt. Doch die Eindrücke, die er nach einer öffentlichen Begehung des Asylbewerberheims in Möhlau zu verarbeiten hat, sind selbst für ihn eine harte Kost. „Das Objekt ist dringend sanierungsbedürftig. Es tropft von der Decke, Schimmel breitet sich aus, die hygienischen Bedingungen sind nicht zumutbar und elektrische Leitungen liegen offen“, umreißt Steckel nur einige der Mängel, die er mit eigenen Augen gesehen hat. Für ihn sind diese Zustände ein „Skandal“, den vor allem der Landkreis zu verantworten habe, der zudem offensichtlich seiner Kontroll- und Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen sei: “Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Betreiber pro Bewohner und Quadratmeter 7,18 Euro im Monat vom Kreis bekommt und dafür so ein unzumutbaren Wohnraum anbietet.“


die Asylbewerberunterkunft in Möhlau


notdürftig reparierte Balkontür im Heim

Kurzfristige Schönheitsreparaturen würden angesichts dieser maroden Bausubstanz nichts bringen. Wohl auch deshalb fordert er wie viele andere, das Heim umgehend zu schließen und die Bewohner stattdessen dezentral in Stadtwohnungen unterzubringen. Dieses Ansinnen hat Landrat Jürgen Dannenberg (Linke) mit dem Verweis auf  steigende Kosten bislang abgelehnt. Für Steckel nur eine Schutzbehauptung, denn schließlich hätten die Erfahrungen in anderen Regionen des Landes gezeigt, dass ein solches Modell die öffentlichen Kassen am Ende sogar entlasten würde.

Dannenbergs Parteigenosse Jörg Schindler, der für die Linke als Direktkandidat bei der kommenden Bundestagswahl im Landkreis antritt, beurteilt das etwas anders. Er hat sich ebenso der Forderung nach einer Schließung der Unterkunft angeschlossen, wie der Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Christoph Erdmenger. Der Grünen-Politiker wird in seiner Kritik an den Zuständen recht deutlich: „Die Flüchtlinge merken, das sie von Regierung und Behörden nicht als Menschen, sondern als Problem behandelt werden.“


DemonstrantInnen bringen harsche Kritik zum Ausdruck

Auch die Sprecherin des Wittenberger Vereins „Kultur mit Sahne“, Alexandra Hänel, äußerte sich in einer Pressemitteilung unmissverständlich: „Jenseits von nicht akzeptablen Bundes- und Landesgesetzen, muss hier vor Ort sofort etwas passieren.“

Die Heimbewohner selbst hatten bereits in einem auf den 12. April 2009 datierten offenen Brief die aus ihrer Sicht unzumutbaren Lebensbedingungen angeprangert und den Landkreis aufgefordert, dringend Abhilfe zu schaffen. In dem Schreiben, dass der gegenPart-Redaktion vorliegt, kritisierten die Flüchtlinge einen „absolut unzureichende medizinische Versorgung“ und warfen der Ausländerbehörde vor, dass diese als vorrangiges Ziel die Abschiebung der Heimbewohner betreibe und damit eine Integration verunmögliche. Außerdem berichteten die MigrantInnen von rassistischen Pöbeleien und Übergriffen, in deren Folge ihre Kinder die Schule hätten wechseln müssen.

Für Aufsehen sorgte am 16. Juli eine vom Ausländeramt anberaumte Abschiebung in Möhlau. Die Landkreisbehörden hatten versucht, ein Roma-Ehepaar nach Pristina (Kosovo) auszufliegen. Als der 49-jährige Mann schließlich aufs Dach der Unterkunft kletterte und drohte zu springen, wurde die Aktion schließlich abgebrochen. Beobachter warfen dem verantwortlichen Mitarbeiter mangelnde Sensibilität vor. Der Zeitpunkt der Rückführung, so die Auffassung, sei dabei völlig unangebracht gewesen. Damit zielte die Kritik vor allem auf den Umstand ab, dass ein solches Vorgehen nur 5 Tage nach dem Tod des Asylbewerbers die ohnehin angespannte Situation im Heim zusätzlich verschärft hätte. 



An einer Demonstration in Wittenberg, zur der die Flüchtlingsinitiative Togo Action Plus und der örtliche Verein „Kultur mit Sahne“ aufgerufen hatte, beteiligten sich am 30. Juli fast 150 Menschen. Die Heimbewohner zogen gemeinsam mit Unterstützern aus Dessau, Halle und Berlin vor das Landratsamt, um dort lautstark die Schließung der Asylbewerberunterkunft einzufordern. Ein Sprecher der Flüchtlinge fand zur Auftaktkundgebung am Hauptbahnhof klare Worte: „Wir wollen nicht mehr geduldet sein, wir wollen unsere Freiheit.“



In Redebeiträgen und auf Transparenten prangerten die Teilnehmer die aus ihrer Sicht restriktive Ausländerpolitik des Landkreises an und warfen der Behörde „strukturellen Rassismus“ vor. Dieser Umgang mit MigrantInnen, so die Argumentation der Demonstranten, sei gerade für die Lutherstadt mit ihrer geschichtsträchtigen Vergangenheit eine Schande: „Wittenberg ist eine historische, eine christliche Stadt. Wir können nicht verstehen, warum die Stadt Flüchtlinge, Menschen so behandelt.“

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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt