Mobile Opferberatung zieht Jahresbilanz 2009

111 rechte Angriffe in Sachsen-Anhalt // Zahlen seien lediglich ein Ausschnitt des tatsächlichen Ausmaßes rechter Gewalt im Land // Trotz Rückgang keine Entwarnung

Fast zeitgleich mit dem Magdeburger Innenministerium (mehr dazu hier...)  legte nun die Mobile Opferberatung des Vereins Miteinander zusammen mit der Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten aus Dessau (mehr dazu hier...) ihre Statistik für das vergangene Jahr vor. Demnach stellten beide Beratungsprojekte im Land 2009 insgesamt 111 politisch rechts motivierte Angriffe fest, von denen mindestens 209 Menschen direkt betroffenen waren. Unter den registrierten Straftaten seien u. a. 96 Körperverletzungsdelikte und zwei Brandstiftungen.

Zudem habe sich der Trend aus den Vorjahren, dass sich die Angriffe vor allem gegen alternative und nicht-rechte Jugendliche und junge Erwachsene richte, unvermindert fortgesetzt. Mehr als die Hälfte aller erfassten Fälle (58 %) konnten demnach dieser Betroffenengruppe zugerechnet werden. 23 Prozent der Angriffe seien rassistisch motiviert gewesen. Die Leidtragenden hier: MigrantInnen, Flüchtlinge, Schwarze Deutsche und ausländische Studierende.

Im Gegensatz zu den Vorjahren hat die Mobile Opferberatung vermehrt Angriffe auf Menschen festgestellt, die sie sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus positionieren und engagieren. Hier sei ein Anstieg um neun Prozent zu verzeichnen. Außerdem wären verstärkt Mädchen und Frauen zum Ziel rechter und rassistischer Schläger geworden. Der Anteil der weiblichen Betroffenen habe sich im vergangenen Jahr um acht Prozent erhöht.

Die Zahlen die von Innenminster Hövelmann im Bereich rechter Gewalttaten verkündeten worden waren, bezeichneten die Initiativen in einer Pressemitteilung als "überraschend". Damit spielten die Projekte augenscheinlich auf die Diskrepanz des gemessenen Rückganges an. Während die Polizeibehörden des Landes insgesamt 83 Fälle für 2009 bilanzierten, ein um 31 % geringeres Fallaufkommen (2008: 121), machte die Mobile Beratung nur einen Rückgang um 17 % (von 153 in 2008 auf 111 in 2009) aus. „Trotz des Rückgangs der Zahlen politisch rechts motivierter Gewalt gibt es keinen Grund zur Entwarnung“, resümiert die Opferberatung. Ein Abgleich gestaltete sich auch deshalb schwierig, weil eine Aufschlüsselung der Fälle für das gesamte Jahr 2009 aus dem Ministerium noch nicht vorliege. Bislang hätte das Landeskriminalamt im Zusammenhang mit einer Kleinen Anfragen der Partei DIE LINKE lediglich 25 politisch rechts motivierte Gewalttaten für die ersten drei Quartale gemeldet.

Zudem, so die Beratungsprojekte weiter, hätten die Polizeidienststellen viele Delikte überhaupt nicht als rechtsextrem motiviert eingeordnet. Als Beispiel wird der Angriff lokaler Rechtsextremisten auf nichtrechte Jugendliche in einem Jugendclub in Alleringsleben (Börde) am 21. Mai 2009 benannt. Demnach hätten sich die späteren Geschädigten gegen das Abspielen rechter Musik ausgesprochen und seien dafür später von den Neonazis attackiert wurden (mehr dazu hier...). „Inwieweit die Sicherheitsbehörden zu einer Neubewertung dieser und etlicher weiterer von der Mobilen Opferberatung als politisch rechts motivierte Gewalttaten dokumentierte Fälle gelangt sind, bleibt abzuwarten“, so eine Sprecherin dazu.

Die zum Teil unterschiedlichen Einschätzung zur Tatmotivation und den Zahlen des Innenministerium erklärt die Mobile Beratung zudem damit, dass lediglich die Sicherheitsbehörden typische Demonstrationsdelikte von Rechten wie Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte als rechte Gewaltdelikte erfassen würden. Demgegenüber zählten die Initiativen wiederum in Einzelfällen auch Nötigungen und Bedrohungen sowie Sachbeschädigungen als Gewalttaten, wenn sie mit massiven Folgen für die Betroffenen verbunden sind. In der Gesamtstatistik der Mobilen Opferberatung für das Jahr 2009 mache dieser Straftatbereich knapp 12 Prozent aller Fälle aus. Außerdem dokumentiere das Projekt im Gegensatz zur Polizei auch nicht angezeigte Gewalttaten.

Die Opferberatung konstatiert für Sachsen-Anhalt zudem ein anhaltender Vertrauensverlust in die Polizei. Auch dies sei ein mögliche Ursache dafür, warum weniger Straftaten angezeigt und damit ans Licht gekommen sein könnten. Konkret benennen die Projekte hier den Oury Jalloh-Prozess, der das Ansehen der Polizei innerhalb der schwarzen Community nachhaltig beschädigt hätte (mehr dazu hier...) und eine aus ihrer Sicht rechtswidrige Durchsuchung eines Telecafés in Dessau (mehr dazu hier...).

Mögliche Gründe für den registrierten Rückgang sieht die Mobile Opferberatung in einer alarmierenden „Normalisierung“ rechter und rassistischer Angriffe, die für viele alternative Jugendliche und junge Erwachsene sowie Flüchtlinge und MigrantInnen mittlerweile oftmals zum Alltag gehören und nur noch nach massivem Gewalterleben zur Anzeige gebracht werden würden. Hinzu komme, dass sich nach Einschätzung von Rechtsextremismus-Experten die lokale Etablierung rechter Dominanzräume in einigen Regionen Sachsen-Anhalts mit der Konsequenz verfestigt hätte, dass diese nicht mehr täglich mit Gewalt durchgesetzt werden müsse.

Infos/Kontakt:
Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt
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Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt