„Herzlich willkommen wer immer Du bist – das ist eine starke Antwort auf Rechtsextremismus und Rassismus“

Interkulturelle Woche 2012 in Dessau-Roßlau mit Bratwurst, Reggae-Sound und vietnamesischer Tanzeinlage eröffnet

Der Herbst zeigt sich für die rund 80 Gäste am 22. Oktober 2012 von seiner goldenen Seite. Schon lange bevor es sich die ersten Besucher auf den Bierzeltgarnituren bequem machen, dröhnt aus den Boxen des „Rodeboy Soundsystems“ vor dem Alten Theater der Reggae-Sound, flutschen vom Plattenteller in schöner Regelmäßigkeit Ska-Klänge. Vom Barbecue wehen Rauchschwaden hinüber und bunte Pappfiguren säumen den Vorbühnenbereich. Fast 30 Vereine, Institutionen und Initiativen beteiligen sich in diesem Jahr an der bundesweiten Veranstaltungsreihe in der Doppelstadt, die diesmal unter dem Motto „Herzlich Willkommen – Wer immer Du bist“ über die Bühne geht. Das zeigt, dass die Sensibilität für interkulturelle Diskurse und Kompetenzen zwischen Elbe und Mulde in den letzten Jahren gestiegen ist. Doch eitel Sonnenschein herrscht auch in Dessau-Roßlau noch lange nicht. Gibt es doch mit der stärkeren Ausprägung einer Willkommenskultur und der dringend zu führenden Debatten um (alltags) rassistische Phänomene auf den hiesigen Straßen und Plätzen noch Baustellen, die das demokratische Gemeinwesen weiterhin beschäftigen werden.




Der Kinderchror der Dessauer Grundschulen in Aktion.


Die vietnamesische Jugendtanzgruppe bot eine beeindruckende Choreographie.

Diese Ambivalenz zwischen schon erreichten Etappen und noch offenen Zielen in der Integrationspolitik, treibt auch Harold Ibanez Vaca um.  Der gebürtige Bolivianer ist zugleich Ausländerbeauftragter der Stadt und nimmt in seinem Eröffnungsstatement kein Blatt vor den Mund: „Von Willkommenskultur ist allerorts die Rede, doch bleibt von solchen Ankündigungen oft nicht mehr als eine Worthülse übrig.“ Bei ihm ist dabei offensichtlich längst angekommen, was zahlreiche Studien inzwischen empirisch belegen. Erworbene und verfestigte Stereotype und Vorurteile können langfristig und nachhaltig nur abgebaut werden, wenn es zwischen Einheimischen und Zugewanderten eine lebenswirkliche Begegnung gibt. Und da sieht der Ausländerbeauftragte für die Stadt noch Nachholebedarf: „Nur durch gegenseitiges Kennenlernen wächst gegenseitiges Verständnis heran. Das klappt hier noch nicht überall. Es geht um eine Einbindung von allen Zugezogenen aus Ost, West, Nord und Süd.“ Für Harold Ibanez Vaca ist dabei der vielbeschworenen Migrationshintergrund - oder wie es neuerdings in der Sozialwissenschaft heißt, eine Migrationsbiographie – nicht das ausschließliche Eintrittsticket für einen solchen Dialog: „Da müssen wir alle mitnehmen, von der Mitte der Gesellschaft bis hin zu den Menschen, die bereits an den Rand gedrängt sind. Es geht nur um Migranten, sondern auch um Menschen mit Behinderungen und verschiedensten Lebensentwürfen.“ Ein zentrales Integrationshindernis, das nach wie vor gerade im Osten der Republik virulent ist, spart er in seiner Rede zudem nicht aus: „Herzlich willkommen wer immer Du bist, das ist eine starke Antwort auf Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Hier sei ein abgestimmter und unmissverständlicher Widerspruch und eine gesellschaftliche Ächtung notwendig, für die Polizei und Staatsanwaltschaft ebenso wenig allein zuständig sein könnten, wie Initiativen, Vereine oder der Stadtrat. Harold Ibanez Vaca schließt mit einer Botschaft, die wohl Vision und Handlungsaufforderung zugleich ist: „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind für diese Stadt nicht akzeptabel.“


Der ehrenamtliche Ausländerbeauftragte Harold Ibanez Vaca fand deutliche Worte.

Nach der Eröffnungsrede stand selbstredend ein Kulturprogramm auf der Agenda. Der Kinderchor der Dessauer Grundschulen, u.a. mit Nachwuchssänger_innen aus der Schule für Körperbehinderte an der Muldaue und der Grundschule am Luisium, hatten dabei augenscheinlich ein Heimspiel. Kein Wunder, bei der hohen Dichte von Eltern und Großeltern im Publikum. Indes wartete die vietnamesische Jugendtanzgruppe mit einem ungewöhnlichen Mix aus Hip Hop-Klängen und einer eher traditionellen Tanzchoregraphie auf.





Der Eröffnungsveranstaltung wären zweifellos mehr Besucher zu wünschen gewesen, blieben doch die Zuständigen, Programmbeteiligten und eh schon sensibilisierten Akteur_innen weitgehend unter sich. Das zeigt zum einen, dass die immer wieder geforderte lebenswirkliche Begegnung, mit noch so gutgemeinten Festivitäten und Höhepunkten eben nicht simuliert werden kann. Zum anderen sollte es aber auch ein Ansporn sein, im Bemühen um eine politische, kulturelle und soziale Teilhabe von Zugewanderten nicht nachzulassen.  Denn dieses Potential braucht ein demokratisches Gemeinwesen, nicht nur vor der Hintergrundfolie des demographischen Wandels.      




 

Projekt GegenPart – Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt