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„Vielleicht ist heute kein Fußball!“

Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden Max Mannheimer




Ein recht unkonventionelles Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden Max Mannheimer erlebten die 50 ZuhörerInnen am 10. Oktober 2005 in der Anhaltischen Landesbücherei Dessau. Max Mannheimer fesselte mit seiner Mischung aus biographischen Fakten, zeitgeschichtlichen Hintergründen und Betrachtungen des aktuellen Rechtsextremismus in der BRD, zweifellos den Saal. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe „Zeugnis ablegen bis zum letzten Tag…“ statt, die das Alternative Jugendzentrum Dessau (AJZ) im Oktober und November 2005 organisierte und in der bisher vier jüdische Überlebende des Holocaust in Dessau zu Gast waren. Die Veranstaltungsreihe findet Ende November mit Maria und Adam König, die in Halle und Wittenberg mit Jugendlichen sprechen werden, ihren Abschluss.
Jana Müller (AJZ) verwies einleitend darauf, dass Max Mannheimer, der seit vielen Jahren Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau ist, zum ersten Mal das Bundesland Sachsen-Anhalt besucht und Zeitzeugengespräche hier führt. Neben den Spuren jüdischen Lebens in Dessau, hatte der Maler Max Mannheimer (Künstlername: ben jacob) am Vormittag mit großer Begeisterung das Bauhaus besucht.


Max Mannheimer in der Anhaltischen Landesbücherei

Eine Kostprobe seines sehr eigenen Humors, gab der Zeitzeuge gleich zu Beginn des Vortrages und kommentierte damit den vollbesetzten Raum: „Vielleicht ist heute kein Fußball!“.

Max Mannheimer wurde am 29. September 1920 in Neutitschein (Tschechoslowakei) geboren. Sein Vater arbeitete als Großhandelskaufmann. „Politisch war er immer sehr naiv“, fasste Max Mannheimer seine Eindrücke über den Vater zusammen. Bis zum 07. November 1938 empfand der damals 18jährige die Lage als ziemlich ruhig.  Am 10. Oktober 1938, besetzten Deutsche Truppen, nach dem das Münchner Abkommen ausgehandelt wurde, genau diesen Teil der Tschechoslowakei. Das Attentat auf den deutschen Gesandten von Rath in Paris, instrumentalisierten die Nationalsozialisten dann für den Beginn der längst geplanten öffentlichen Verfolgung der Juden. In der Reichspogromnacht am 09. November steckte der nationalsozialistische Mob Synagogen in Brand und schändete  und zerstörte jüdische Einrichtungen und Geschäfte. Die Synagoge in Max Mannheimers Herkunftsort, konnte nicht ohne Gefahr für die Antisemiten angesteckt werden. In unmittelbare Nähe befand sich ein großes Gaslager. Die Nazis hielt dies trotzdem nicht davon ab, die Torarollen zu schänden.


Max Mannheimer auf dem israelitischen Friedhof in Dessau

Einen Tag nach diesen Ereignissen tauchten Schutzpolizisten in der Wohnung der Mannheimers auf und nahmen den Vater in „Schutzhaft“. Er kam zunächst wenig später wieder frei. Max Mannheimer selbst entging an diesem Tag noch der Verhaftung, da die Mutter sein tatsächliches Alter herabsetzte. Trotzdem trafen die Familie die antijüdischen Maßnahmen hart. Sie mussten ihr Geschäft auflösen und hatten noch das Glück, einen großen Teil des Hausrates mitnehmen zu dürfen. Im Januar 1939 siedelten sie nach Ungarisch-Brod um.   

Am 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen den Rest Böhmen und Mährens. Die Slowakei wurde ein NS-freundlicher Satellitenstaat. Am 01. September 1941 schließlich, erging auch in Böhmen und Mähren der Befehl zum Tragen des Judensterns. Noch immer sichtlich ergriffen, hielt Max Mannheimer ein gelbes Stück Stoff hoch. 

Max Mannheimer hat, wie viele Holocaustüberlebende , jahrzehntelang nicht über seinen Leidensweg sprechen können. 1985 bekam er eine Anfrage, über seine Biographie in den „Dachauer Heften“ zu publizieren. „Dieses Jahr änderte mein Leben total.“, blickte der Zeitzeuge zurück. Dabei legt er viel Wert darauf, seine Rolle in diesem Prozess klar zu umreißen: „Nicht als Ankläger oder Richter, sondern als Zeuge der Zeit.“.

Für die am 20. Januar 1942 in Berlin abgehaltene Wannseekonferenz fand Max Mannheimer ein treffende Bezeichnung: „Es gab nur einen Punkt, die Endlösung der Judenfrage.“.

Ende 1940 lernte Max Eva Bock kennen, die sich zu dieser Zeit gerade auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitete und ein Hachscharah, ein Praktikum auf einem landwirtschaftlichen Gut, absolvierte. Im September 1942 heirate Max Eva Bock. Am 27. Januar 1943 mussten sich die Juden im Ghetto Ungarisch-Brod zur Deportation einfinden. Am späten Nachmittag bestiegen Max und seine Frau einen Zug, der sie nach Theresienstadt brachte. Im Verlauf dieses Transportes erhält Max das erste Mal in seinem Leben eine Nummer: CP 510. Als er aus seinem publizierten Tagebuch über die Deportation las, sagte er zum anwesenden Publikum: „Mögen sie solche Geschichten nur als Zeitzeugengespräch hören und nie erleben.“. Ende 1943 kommt Max Mannheimer fast 23jährig in Theresienstadt an. Mit ihm trafen dort seine Geschwister, die Mutter, die Schwägerin und der Vater ein. Sein Aufenthalt dort dauerte nicht lange. Mit einem Personenzug ging es zum „Arbeitseinsatz in den Osten“. Er bekam erneut eine Transportnummer um den Hals gehängt: CU 290.

In der Nacht vom 01. zum 02. Februar 1943 trifft Max Mannheimer auf der Todesrampe in Auschwitz ein. An die Bilder der Selektion, an die Trennung von Frauen, Männern, Kindern, Alten und Kranken, kann sich Max Mannheimer noch heute erinnern. Seine Brüder und er wurden nach links geschickt. Arbeitsfähig! Sein Vater kam nach rechts. Seine Mutter, seine Frau, die Schwägerin und die Schwester sah er im Gedränge nicht mehr. Schließlich wurde er zu einer Baracke nach Auschwitz-Birkenau geführt. Kein Name mehr, nur noch die Nummer 99728. Als Max zum ersten Mal hört, was mit den Menschen, die nach rechts geschickt wurden, passiert: „Die gehen alle durch den Kamin““, kann er es nicht glauben. Den Verlust aller persönlichen Sachen, das Schneiden und Rasieren sämtlicher Haare und die Ohnmacht gegenüber der Brutalität, die Max Mannheimer und seine Brüder in den ersten Stunden in Auschwitz durchliefen, war unbeschreiblich. Schließlich wurden sie auf die blanken Pritschen in einer Pferdebaracke getrieben. An Schlaf war nicht zu denken. „Wir zitterten nicht nur der Kälte wegen, sondern auch aus Angst“, erinnerte sich Max Mannheimer noch genau an die Situation. Wenige Stunden später hieß es Antreten vor dem Block. Max schilderte diese Eindrücke mit Zitaten aus seiner Veröffentlichung „Spätes Tagebuch“: „Wir frieren. Es ist noch dunkel. Der Boden ist schlammig. Links von uns  ist der Stacheldraht. Elektrisch geladen. Totenkopf. Darunter: „Lebensgefahr“. Ich bin verzweifelt. Schaufeln werden wir bekommen. Das eigene Grab schaufeln. Das sind meine Gedanken. Ich spreche sie aus. Mein kleiner Bruder tröstet mich. Ich sollte ihm eine Stütze sein. Elektrisch geladener Stacheldraht. Nur berühren – aus. Tut nicht weh. Mein kleiner Bruder fragt: Willst du mich alleine lassen?“. Geschämt habe er sich, so Max Mannheimer und nie wieder einen Gedanken an Selbstmord gehabt. Nach sechs Wochen im Quarantänelager von Auschwitz-Birkenau erfolgte die Verlegung ins Stammlager. Er arbeitete im Kommando „Kanalisation“. Den alltäglichen Terror, der unvermittelt zum Tod führen konnte, erlebte auch Max Mannheimer hautnah. Er hörte einmal, dass ein Kapo in einem Geräteschuppen einen Häftling mit einem Schaufelstiel erschlug. Auch Max wurde in den Geräteschuppen zitiert, hatte aber Glück. „Wenn man in Todesangst lebt, geht einen das Zeitgefühl verloren“, sprach er über diese unmenschliche Willkür. Sein jüngerer Bruder Edgar, sollte sich einmal zu einem chirugischen Experiment, wie er später erfuhr war eine Sterilisation vorgesehen, melden. Ein Mithäftling konnte dieses Verbrechen jedoch in letzter Minute verhindern. Der andere Bruder Ernst erkrankte schwer. Einige Zeit gelang es noch ihn vor der Selektion für die Gaskammer zu bewahren. Am 07. März 1943 wurde Ernst in Auschwitz ermordet. 

Als sein Bruder Edgar im Oktober 1943 auf Transport gehen sollte gelang es Max einen SS-Mann zu überreden, dass er mit konnte. Nach der Niederschlagung des Aufstandes im Wahrschauer Ghetto wurden dort Abbruchkommandos benötigt. In Warschau arbeitete Max im Kommando Wäscherei. Als sich die Rote Armee näherte, wurden die Häftlinge im Sommer 1944 auf den Todesmarsch nach Rutno getrieben. Von dort ging es, in Güterwagen gezwängt, weiter. Am 06. August 1944 erreichten sie das Konzentrationslager Dachau. Drei Wochen Quarantäne, später ins Außenlager Mühldorf. Dort erkrankte Max an Flecktyphus. Als das Lager Mühldorf am 28. April 1945 geräumt wurde, konnte er nur noch mit Unterstützung seines Bruders Edgar in den Güterwagen gelangen. Noch in den letzten Stunden vor der Befreiung am 30. April 1945 verloren Häftlinge bei Fliegerangriffen, denen sie schutzlos ausgesetzt waren, ihr Leben.

Max Mannheimers „Spätes Tagebuch“ endet mit den Worten: „Wir sind wieder Menschen. Wir können in ein Krankenhaus gehen, ohne Angst zu haben. Wir sind frei.“.

Max Mannheimer wog  noch ganze 37 Kilo und hatte die Eltern, zwei Brüder, die Schwester und seine Frau verloren. Außer ihm hatte lediglich sein Bruder Edgar überlebt.   
 
Auf eine Frage aus dem Publikum, warum die Juden denn überhaupt verfolgt wurden, verwies Mannheimer zu allererst auf den Mythos den angeblichen Christusmordes. Dieses Gerücht hätte sich Jahrtausende ebenso hartnäckig gehalten, wie angebliche Ritualmorde. „Auch die Römer haben Christen verfolgt, ich habe noch nicht gehört, dass das jemand den Römern heute noch unterstellen würde“, brachte Max Mannheimer den Irrsinn der Antisemiten auf den Punkt.


im Gespräch mit dem Dessauer Historiker Dr. Bernd Ulbrich

Mehrmals betonte Max Mannheimer während seines Berichtes, dass er „kein Held“ gewesen sei. Ohne Angst stellt er sich seit vielen Jahren Neonazis und Holocaustleugnern entgegen. Am 04. Mai 1992 sollte der britische Holocaustleugner David Irving auf einer Pressekonferenz sprechen. Dort traf er auf den damaligen Neonazikader Althans und sprach ihn an. Später besuchte er Althans im Gefängnis. Ein Angebot Rosa von Braunheims, zusammen mit Althans in einem Film aufzutreten, lehnte er aber ab, um ihm keine öffentliche Plattform zu bieten. 1994 diskutierte Max Mannheimer in einem TV-Gespräch mit dem Neonaziaussteiger Ingo Haselbach. Schließlich zeigte er den damaligen NPD- Chef Günther Deckert an, nach dem dieser ihm einen holocaustleugnenden Brief schrieb. Zum Prozess, in dem Max Mannheimer aussagte, kamen 80 Neonazis. Deckert wurde damals zu 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Im Thüringischen Rudolphstadt fand ein Zeitzeugengespräch mit ihm erstmals unter Polizeischutz statt, nach dem Neonazis gedroht hatten, die Veranstaltung anzugreifen. In Dresden diskutierte er mit Neonazis. „Ein Rezept, die Nazis zu bekämpfen, ist die Demokratie zu stärken“, sagte Max Mannheimer und kritisierte zugleich die aus seiner Sicht zu milden Urteile gegen Rechtsextremisten.


der Zeitzeuge im Moses-Mendelssohn-Zentrum Dessau

Mit einem Satz, dem wohl nichts hinzu zu fügen ist, endete Max Mannheimer am 10. Oktober 2005: „Die Erinnerung an Auschwitz darf nie verschwinden, sie soll immer Mahnung sein.“. 

Infos/Kontakt:
Alternatives Jugendzentrum e. V. Dessau
Jana Müller
Schlachthofstr. 25
06844 Dessau
Tel.: 0340/ 26 60 21 9
e-mail: ajz-dessau@web.de       

 

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