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„Was überhaupt nicht geht, ist wegzuschauen“

in Aken will sich ein Bündnis für Demokratie und Toleranz gründen




Die Stühle im eher beschaulichen Rathaussaal der Kleinstadt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sind an diesem Abend bis auf den letzten Platz besetzt. Mit 20 BürgerInnen hatte man gerechnet, dass es am Ende fast 35 Interessierte waren, die der Einladung des Bürgermeisters Hansjochen Müller (SPD) gefolgt waren, überraschte viele. Und das vor allem, weil es am 04. Oktober 2007 nicht um die Festsetzung der neuen Abwassergebühr oder die Anhörung zur Straßenausbausatzung geht, sondern um die Frage, ob Aken ein Bündnis für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus braucht.


zahlreiche Interessierte fanden den Weg in das Akener Rathaus

Was überhaupt nicht geht, ist wegzuschauen. Vielmehr müssen wir uns dieser Sache stellen“, sagt das Stadtoberhaupt zu Eröffnung der Veranstaltung. Müller spielt damit auf die dynamische Entwicklung an, die die rechtsextreme Szene in den letzten Monaten in der Elbestadt genommen hat. Der Kommunalpolitiker redet Tacheles und benennt schonungslos die augenscheinlichsten Konsequenzen, die diese verstärkten Aktivitäten der Leute, die die Demokratie beseitigen wollen, für Aken mit sich gebracht haben: „rechtsextreme Gewalttaten“. Der Bürgermeister ist sich sicher, dass dem Rechtsextremismus nur wirksam entgegengetreten werden kann, wenn „alle demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte zusammenstehen um dagegen etwas zu tun“. Indirekt hat er für sich damit die Frage schon beantwortet, ob die 9000-Seelen-Gemeinde tatsächlich ein Netzwerk für Demokratie braucht. Und noch einen Punkt erwähnt er: „Die NPD bezeichnet Aken, ob zu recht oder nicht, als rote Bastion“. Müller, dass nimmt ihm jeder im Saal ab, ist bereit diese Herausforderung, diesen Fehdehandschuh, der von der extremen Rechten in die Kleinstadt geworfen wurde, anzunehmen und aufzuheben.

Marco Steckel, der Leiter der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt aus Dessau, führt nach dem Eingangsstatement des Bürgermeisters moderierend durch den Abend und bittet die Anwesenden zunächst, ihre Erwartungen in Worte zu fassen. Dass diese ganz unterschiedlich gelagert sind und manchmal sogar erheblich voneinander abweichen, verwundert kaum. „Ich bin persönlich betroffen, weil die sich im Nachbarhaus treffen“, sagt ein CDU-Stadtrat und meint damit einen informellen Treffpunkt der rechten Szene. Matthias Schmidt (SPD) betont, dass Aken in der Vergangenheit von rechtsextremen Aktivitäten nahezu verschont geblieben sei und das plötzliche Erstarken viele in der Stadt überrascht hätte. Jetzt jedenfalls, gebe es in der Stadt offensichtlich eine aktive Neonazikameradschaft. Eine Analyse, die später in einem Vortrag bestätigt werden sollte. Sabine Haase, die sehr rührige Jugendclubleiterin die das Treffen im Rathaus maßgeblich mit anregte, erhofft sich Impulse für eine demokratische Jugendarbeit und wünscht sich außerdem eine Sensibilisierung für das Thema Rechtsextremismus im lokalen Diskurs. Für den Polizeibeamten Lange, dem Leiter der Revierstation Aken, ist es wichtig Partner zu finden, die die Polizei bei der noch wirksameren Bekämpfung des Rechtsextremismus tatkräftig unterstützt. Der Beamte mahnt aber auch an, sich Gewalttaten, vor allem hinsichtlich einer möglichen rechtsextremen Motivlage, sehr genau anzuschauen, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und die jeweiligen Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Ein weiteres Spezifikum der Elbestadt kam an diesem Abend gleich mehrmals zur Sprache. Die relativ starke alternative Szene in der Stadt, so der Tenor zahlreiche Wortmeldungen, solle sich möglichst auch in das zu schmiedende Bündnis einbringen. Hansjochen Müller formuliert dazu ein klares Gesprächsangebot. 


der Dessauer Neonazis Alexander W. (4. v. r.), der maßgeblich für die Aktivitäten der rechtsextremen Kameradschaft "Freie Nationalisten Aken/Elbe" verantwortlich zeichnet

 „Ich möchte an diese Stelle einmal das positive Element in Aken hervorheben, dass was Mut macht und die Stadt von vielen anderen Kommunen positiv unterscheidet“, sagt Steffen Andersch vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt (Projekt gegenPart). Andersch spricht damit auf die bemerkenswerte Bereitschaft vieler Akener an, ganz praktisch und uneigennützig Zivilcourage zu zeigen und rechte Gewalt somit wahrnehmbar zu ächten. So sei es in Aken gelungen, innerhalb von nur zwei Tagen 230 BürgerInnen gegen einen geplanten Aufmarsch der NPD auf die Straße zu bekommen (mehr dazu hier...). Dass dabei der Bürgermeister und ein großer Teil des Stadtrates an der Spitze liefen, sei durchaus nicht üblich. Auch das Beispiel eines nicht genehmigten rechtsextremen Fackelmarsches (mehr dazu hier...), dem sich der Bürgermeister zusammen mit anderen BürgerInnen in den Weg stellte, zeige das zivilgesellschaftliche Potential, an dass es sich anzuknüpfen lohne. Für dieses couragierte Einschreiten bedankt sich der Leiter der Polizeistation heute ausdrücklich bei Hansjochen Müller. 


Katja K. (2. v. l.), Aktivistin der Neonazikameradschaft "Freie Nationalisten Aken/Elbe"

Dr. Gregor Rosenthal ist extra aus der Hauptstadt angereist. Der Geschäftsführer des Berliner Bündnisses für Demokratie und Toleranz hat die Einladung gerne angenommen. Aken indes ist für ihn kein weißer Fleck auf der Landkarte, ist ihm doch vor allem der Jugendclub „nomansland“ in gute Erinnerung geblieben. Dieser hat sich vor einigen Jahren mit einem Projekt an einem Wettbewerb für Toleranz beteiligt und sogar einen Preis abgeräumt. Rosenthal ermutigt die versammelten Akteure, die Idee eines Netzwerkes zu verwirklichen. Dazu sei es notwendig, eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz in der lokalen Öffentlichkeit zu erzielen, um tatsächlich wirksame Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus zu entwickeln. So müssten vor allem Sportvereine und die Freiwillige Feuerwehr unbedingt mit einbezogen werden. Er plädiert zudem dafür, dieses Konzept des offenen und breiten Bündnisses bereits in der Namensgebung zu berücksichtigen. Unter einem Label das „Für etwas ist“, so Rosenthal, ließen sich viel mehr Leute, Initiativen und Verbände vereinigen, als in einem Zusammenschluss „gegen etwas“.   Doch er hat auch Lob aus Berlin mitgebracht. Es sei zu begrüßen, dass man sich in Aken offensichtlich dafür entschieden habe zu handeln, bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Gerade diese präventive Ausrichtung könne dazu beitragen, den organisierten Rechtsextremismus, der sich in der Kleinstadt gerade formiere, schon in der Entstehungsphase entscheidend zu schwächen.

Steffen Andersch, der im Rahmen des Beratungsnetzwerkes gegen Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt beim Projekt gegenPart mitarbeitet, versorgt die ZuhörerInnen dann mit harten Fakten zur Verfasstheit der organisierten rechtsextremen Szene in der Region. So sei vor einigen Monaten erstmals ein rechtsextremer Personenzusammenschluss unter der Bezeichnung „Freie Nationalisten Aken/Elbe“ mehrmals öffentlich in Erscheinung getreten. Diese Neonazikameradschaft habe enge Kontakte zu anderen rechten Gruppen der Region und verfüge zudem über zwei „informelle Treffpunkte“ in Aken. „Eigentlich ist diese Kameradschaft ein Ableger, eine Ausgründung, der Gruppierung Freie Nationalisten Dessau/Anhalt“, so der Referent. Mittlerweile sei es dem maßgeblichen rechten Aktivisten, der vor kurzem seinen Lebensmittelpunkt von Dessau nach Aken verlegte gelungen, auch Rechtsextremisten aus Aken und dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld organisatorisch einzubinden. Seit der Gründung dieser Kameradschaft, seien rechtextreme Gewalttaten und Propagandadelikte in Aken sprunghaft angestiegen (mehr dazu hier...). So hätten vermummte Rechtsextremisten erst am 24. September diesen Jahres einen 13jährigen Jugendlichen, der sich auf dem Schulweg befand, mit einem Baseballschläger vom Fahrrad geprügelt und anschließend seine Brille zertreten (mehr dazu hier...). „Wir können schon von einer neuen Qualität des Rechtsextremismus in der Region sprechen“, fasst Andersch seine Analyse zu diesem Teil seines Vortrages zusammen. Der Referent geht noch auf einen weiteren maßgeblichen Aspekt ein, der für die Verfasstheit des organisierten Rechtsextremismus von entscheidender Bedeutung sei. Vor allem die enge Kooperation der NPD mit den Neonazikameradschaften, „die noch vor einige Zeit für uns undenkbar gewesen wäre“, sei für diese besorgniserregende Entwicklung ursächlich verantwortlich. „Mittlerweile verfügt die NPD nicht nur über enge Kontakte zu gewaltbereiten und vorbestraften Neonazis aus den Kameradschaften, sondern es besteht eine Personalunion“, so Andersch. Das hieße in der Konsequenz, dass viele Neonazis der Region in die NPD eingetreten wären und dort mittlerweile, nicht nur in Wahlkampfzeiten, organisatorische Aufgaben und parteipolitische Funktionen übernommen hätten. Das Fazit des Experten fällt daher ernüchternd aus: „Es ist zu konstatieren, dass sich rechtsextreme Strukturen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld nicht nur verfestigt haben, sondern es den Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum im Schulterschluss mit der NPD gelungen ist, diese auszubauen. Dabei scheinen sich die Rechtsextremisten vor allem die Kleinstadt Aken als neuen Kampfplatz auserkoren zu haben“.

Nach der Information fand nochmals eine zum Teil intensiv geführte Debatte statt. Dabei stand nicht so sehr die Frage im Vordergrund, ob es überhaupt die Notwendigkeit gibt, organisiert und strukturiert diesen rechtsextremen und menschenfeindlichen Tendenzen in Aken entgegenzutreten.

Um es gleich vorwegzunehmen, ein Bündnis für Demokratie, so die einhellige Willensbekundung, soll und wird es in Aken zukünftig geben.

Was den Diskurs schließlich bestimmte, war der mögliche Weg dorthin. Über Fragen der Zielorientierung, der Organisationsform und vor allem der Geschwindigkeit, mit der ein Netzwerk implementiert werden soll, wurde diskutiert. Dabei erweisen sich Erfahrungen, die andere Bündnisse in der Region bereits gesammelt haben, als hilfreich. Michael Kleber vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der seit Jahren im Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus vertreten ist, skizzierte so das Konzept des breiten Zusammenschlusses in der Muldestadt und sagte zudem: „So ein Gremium muss sich auch erst einmal finden“. 

Ein Arbeitsgremium wird sich in den kommenden Wochen mit den Detailfragen beschäftigen.

Schließlich will das zu gründende Netzwerk in naher Zukunft „Mit einem großen Aufschlag“  wirkungsmächtig an die lokale Öffentlichkeit treten, um schließlich offiziell zu starten.

Ein Signal, dass nicht nur dringend notwendig erscheint sondern den rechtsextremen Menschenfeinden zeigt, dass eine demokratische Zivilgesellschaft wehrhaft, kreativ und entschlossen ist.

verantwortlich für den Artikel:

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